“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Mentale Gesundheit von jungen Menschen und Fachkräften

Referentinnen der Fachtagung "Mentale Gesundheit von jungen Menschen und Fachkräften" im Gespräch
Foto: AdB
13.10. 2023

Jugendpolitische Fachtagung im Haus der Jugendarbeit und Jugendhilfe (HdJ) in Berlin

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. hat zusammen mit den anderen Organisationen im Haus der Jugendarbeit und Jugendhilfe e. V. (HdJ) am 11. Oktober 2023 die jährlich stattfindende jugendpolitische Fachveranstaltung durchgeführt. Schwerpunkt war die mentale Gesundheit von jungen Menschen und Fachkräften – ein Thema, das angesichts der Gleichzeitigkeit globaler Krisen immer stärker in den Fokus der Jugendarbeit und Jugendhilfe rückt.

 

 

 

Mike Corsa, Vorsitzender des HdJ e. V., begrüßte die ca. 60 Teilnehmer*innen und stellte das Tagungsthema in einen größeren Kontext. Er zog die Verbindung zwischen den aktuellen gesellschaftlichen Krisen, Bedrohungen und beunruhigenden Entwicklungen und den alltäglichen Herausforderungen von Jugendlichen und Fachkräften.

 

Politische, ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Krisen sind allgegenwärtig und die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind nach wie vor spürbar. All dies beschäftigt junge Menschen in starkem Maße. Hinzu kommt der der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die unfassbaren, grausamen Terrorangriffe in Israel.

 

Krieg, Gewalt und Zukunftsängste, aber auch persönliche Einschränkungen und Unsicherheiten haben Auswirkungen auf die mentale Gesundheit junger Menschen, aber ebenso auch auf die der Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe. In dieser Fachtagung wurde daher in den Blick genommen, wie sich psychische Belastungen und Erkrankungen äußern und wie hoch die Zahlen erkrankter Kinder und Jugendlicher aktuell sind. Aus unterschiedlichen Perspektiven wurde diskutiert, wie Fachkräfte damit umgehen können, ohne sich selbst zu überlasten. Es wurden Beispiele aus der Praxis der täglichen Arbeit vorgestellt und Hinweise auf Unterstützungs- und Hilfesysteme gegeben.

 

Dr. Claudia Calvano, Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und -psychotherapie an der Freien Universität Berlin, machte mit konkreten Zahlen deutlich, wie sich die aktuelle Situation darstellt: 12,7 % der Kinder und Jugendlichen haben manifeste psychische Störungen, viele leiden unter Ängsten, aber nur 44 % der Betroffenen erhalten eine Behandlung. Verschiedene Faktoren bringen besondere Risiken mit sich, z. B. sehr beengte Wohnverhältnisse, ein niedriger sozial-ökonomischer Status, Migrations- und Fluchterfahrungen, erlebte Gewalt. Wichtig sei es, alle Perspektiven und das soziale Umfeld mit einzubeziehen, soll Hilfe gut gelingen. Die verschiedenen (Hilfe-)Systeme müssten viel besser vernetzt arbeiten. Auch ein gesamtgesellschaftliches Engagement sei notwendig: Kinder und Jugendliche brauchen eine starke Interessenvertretung, es braucht präventive Maßnahmen und mehr konkrete Hilfsangebote.

 

All dies konnte Sabine Finster vom Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V. in einem von Maja Wegener, Geschäftsführerin des HdJ e. V., moderierten Gespräch bestätigen. Sie berichtete aus ihrer Praxis und der täglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Auch die Teilnehmer*innen brachten eigene Erfahrungen ein. Deutlich wurde: Therapieplätze anbieten zu können, ist das eine, das andere ist, in die Lebensräume der Kinder und Jugendlichen zu gehen. Hier sind die Fachkräfte gefragt, die täglich in diesen Lebensräumen arbeiten. Um das aber leisten zu können, muss die Qualifizierung der Fachkräfte in diesem Themenfeld verbessert werden.

 

Der AdB stellte in seiner Session den Umgang mit psychischen Belastungen in der politischen Bildung in den Fokus. In Veranstaltungen politischer Jugendbildung werden immer wieder psychische Belastungen sichtbar. Tina Leskien gab mit einem Input Einblick in ihre langjährigen Erfahrungen als politische Bildnerin in der Stiftung wannseeFORUM in Berlin. Es wurde diskutiert, wie politische Bildner*innen Belastungen erkennen und professionell auf diese reagieren können. Thematisiert wurden ebenso die Grenzen der eigenen Profession und die Unterstützersysteme, auf die die betroffenen Fachkräfte zurückgreifen können.

 

Michael Scholl, Grundlagenreferent der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit e. V., begleitete die Tagung als Critical Friend. Ihm ist es hervorragend gelungen, das große Thema am Ende des Tages noch einmal zu rahmen und die Herausforderungen für die kommende Zeit zu benennen. Deutlich wurde, dass Mental Health stark im Kontext von Corona thematisiert wurde. Das sei verständlich, aber es sei auch notwendig, auf die multiple Krisenlage zu schauen, für die es kaum überzeugende Lösungen gibt. Aus „Zukunftsangst“ sei Gegenwartsangst geworden, so seine Einschätzung.

 

Drei Begriffe stellte er in den Fokus seines Rückblicks: Vertrauen, Verantwortung und Vernetzung. Mit Vertrauen verbindet sich der Aufbau von Beziehungen, das Schaffen sicherer Räume und die Stärkung des Zusammenhalts. Hier kann durchaus auf bewährte Ideen und Konzepte zurückgegriffen werden. Verantwortung bedeutet, dass Fachkräfte und junge Menschen Lebenskompetenz aufbauen müssen. Es muss eine Sensibilisierung für psychische Gesundheit erfolgen, aber auch die eigenen Grenzen und die der Profession müssen beachtet werden. Vernetzung ist eine zentrale Forderung, die sich durch den ganzen Tag zog: Es sollten Partnernetzwerke vor Ort aufgebaut und Peer-to-Peer-Ansätze gestärkt werden. Essentiell – und auch das hat diese Veranstaltung gezeigt – ist der intensive Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis.

 

Und am Ende steht die Forderung an die Politik, starke und verlässliche Strukturen zu fördern und nicht nur auf befristete Projekte zusetzen, deren großer Mehrwert oftmals verloren ist, wenn das Projekt endet.

 

Das Haus der Jugendarbeit und Jugendhilfe e. V. (HdJ) mit seinem Sitz in Berlin-Mitte ist seit vielen Jahren zentraler Standort wichtiger bundeszentraler Organisationen der Kinder- und Jugendhilfe:

  • Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
  • Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten (AdB)
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (BAJ)
  • Deutsche Bundesjugendring (DBJR)

 

Die Spitzenverbände sind wichtige Ansprechpartner des BMFSFJ, der Bundesregierung und den Deutschen Bundestag. Sie gestalten aktiv die Jugendpolitik mit und machen eine vielfältige und lebendige Zivilgesellschaft sichtbar.