“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Erwachsenenbildung in Europa stärken: AdB-Empfehlungen zur zukünftigen EU-Programmgeneration im Bereich Erwachsenenbildung

14.05. 2018

Europa und insbesondere die Europäische Union stehen vor großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Es mehren sich die Anzeichen einer deutlichen Abkehr großer Bevölkerungsteile der Mitgliedsstaaten vom Europäischen Projekt. Mit Europaskepsis wird Regierungshandeln legitimiert und auf breiter Basis offen Front gegen europäische Grundwerte gemacht. Umso dringender besteht die Notwendigkeit, auf europäischer Ebene die Unterstützung für Projekte und Maßnahmen der politischen Erwachsenenbildung, für Education for Active Citizenship, European Rememberance, für Begegnung und Austausch in Formaten von Adult learning zu verstärken und zu bündeln.

 

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten ist tief besorgt über die Ergebnisse der Erasmus+ mid term evaluation im Bereich der Erwachsenenbildung. Der dort beschriebene Rückgang der Erwachsenenbildung hat seine Ursache auch in dem für die Erwachsenenbildung ungünstigen Programmdesign, das dazu führt, dass viele Akteurinnen und Akteure keine Chance sehen, sich erfolgreich zu beteiligen. Andere Studien wie z. B. der DIMA transnational report oder Projektergebnisse wie die des MUPYME Projekts zeigen durchaus, dass durch Maßnahmen der Erwachsenenbildung positive Effekte erzielt werden können.

 

Will man zu einer Trendwende kommen, so gilt es, im neuen Bildungsprogramm die bestehenden politischen Herausforderung auf europäischer Ebene anzunehmen. D. h, auch in der Erwachsenenbildung Programme und Begegnungsformate zu entwickeln, die bürgerschaftliches Lernen in Europa, die Auseinandersetzung mit Demokratie und Menschenrechten, mit globaler Gerechtigkeit und verantwortlicher Wirtschafts- und Sozialpolitik viel stärker unterstützen als dies bislang der Fall ist. Der Europäischen Union erwächst mit dem Programmvorschlag für die Nachfolgeprogramme von Erasmus+, Europe for Citizens und Rights, Equality and Citizenship im neuen mehrjährigen Finanzrahmen eine besondere Verantwortung!

 

Es gilt, mutige und durchdachte Politik zu realisieren, um auf breiter Ebene demokratische Resilienz zu entwickeln: Die großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen verlangen nach einem wachsenden finanziellen Engagement, um Bildung und Kultur von und für Erwachsene und Jugendliche zu ermöglichen und Bürgerschaft zu stärken. Dafür setzt sich der AdB mit Nachdruck ein.

 

Die europäische Kommission hat durchaus erkannt, dass den Anliegen von Bildung, Bürgerschaft und Demokratie in einer digitalisierten und globalisierten Gesellschaft eine Schlüsselfunktion zukommt (vgl. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-102_en.htm, Verabschiedung der Council Recommendation on Key Competences for Lifelong Learning, des Digital Education Action Plan und der Council Recommendation on promoting common values, inclusive education, and the European dimension of teaching, alle vom 17. Januar 2018). Entsprechende Konsequenzen für die Erwachsenenbildung fehlen jedoch. Mit der Verhandlung zum neuen mehrjährigen Finanzrahmen und der Weichenstellung für die Nachfolgegeneration des EU-Programms Erasmus+ und anderer für die politische Bildung wichtiger europäischer Förderinstrumente im Bereich der Grundrechte und Bürgerschaft bieten sich vielfache Gelegenheiten, Weichenstellungen für ein demokratischeres, solidarischeres, an Menschenrechten und Vielfalt orientiertes Europa vorzunehmen und für eine konkrete und realisierbare Ausgestaltung von Erwachsenenbildung zu sorgen.

Ein integriertes Nachfolgeprogramm mit einem eigenständigen Bereich der Erwachsenenbildung

Aufgrund der Erfahrungen im bisherigen Programm Erasmus+ machen wir uns stark für ein integriertes Nachfolgeprogramm mit einem eigenständigen Bereich der Erwachsenenbildung,

  • der einen konkreten Beitrag zur politischen Bildung im Sinne von Global Citizenship Education, Education for Democratic Citizenship und Human Rights Education leistet, damit allen Menschen in Europa die Möglichkeiten zu demokratischem Lernen und demokratischer Teilhabe eröffnet wird und sie unterstützt werden können, an der Ausgestaltung gesellschaftspolitischer Schlüsselfragen mitzuwirken und europäische Grundrechte zu erleben.
  • der dem Trend der Einengung zivilgesellschaftlicher Freiräume entgegengewirkt und soziale Inklusion/gesellschaftspolitische Teilhabe gestaltbar und positiv erfahrbar macht.
  • damit die europapolitische Bildung, das Lernen und Bilden zu europäischer Grundrechtpolitik und zu Demokratie und Menschenrechten integriert wird.

Programmziele

Das Programm muss angesichts der Erosion demokratischer Grundorientierungen verstärkt Verantwortung dafür übernehmen, einen konkreten inhaltlichen Beitrag zu gelebter aktiver europäischer Bürgerschaft, zu Education for Democratic Citizenship, Human Rights Education sowie Global Citizenship Education zu leisten. Es muss klar an den Europäischen Grundrechten und der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgerichtet sein und auf gesellschaftspolitische Partizipation der Menschen in Europa zielen. Die Durchsetzung und Ausgestaltung der Grundrechte sollte über das Programm ermöglicht und konkret erfahrbar werden. Dies heißt, dass die Bedeutung der Erwachsenenbildung grundsätzlich anerkannt werden muss – sowohl im Hinblick auf Employability und berufliche Weiterbildung als auch im Hinblick auf die oben genannten Bereiche.

 

Dabei sollten die Aktivitäten in den Rahmen der Sustainable Development Goals (SDG 4.1.) eingefügt werden und deren Ziele sollten der inhaltlichen Orientierung des Programms dienen.

 

Gemäß des Subsidiaritätsprinzips muss europäisches Engagement auch im Erwachsenenbildungsbereich verstärkt seiner systemischen Verantwortung gerecht werden, indem es Kapazitätsaufbau (Strukturen, Personal, Ausbildung …) aktiv unterstützt und zwar dort, wo es auf den nationalen Ebenen bislang nicht geleistet wurde oder wo es sinnvoll ergänzt werden kann (vgl. https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectID=09000016807...). Die mangelnden Ergebnisse der Erasmus+ mid term evaluation im Bereich der Erwachsenenbildung rekurrieren auf ein Programm, das nicht passfähig für die Bedarfe der Erwachsenenbildung in Europa designt wurde. Es wäre fatal, die Ergebnisse der Zwischenevaluation ohne den Rekurs auf die mangelnde Passfähigkeit des Programms zu deuten.

Ausgestaltung: Erwachsenenbildung in einer neuen Programmgeneration

Das Programm sollte die bisherigen Erfahrungen aufgreifen und Wirkung auf folgenden Ebenen erzielen:

  • Teilnehmenden und Fachkräften der Erwachsenenbildung individuelle Lernerfahrung und gesellschaftliches Engagement ermöglichen;
  • zur Strukturentwicklung von Erwachsenenbildung in Europa beitragen sowie Einrichtungen und Träger bei der Weiterentwicklung und Ausgestaltung im europäischen Kontext unterstützen. Hierbei ist insbesondere die Wirkung auf dem Mikro-Level in den Fokus zu nehmen.
  • europäische Kooperation im Bereich der Erwachsenenbildung zu vertiefen, indem es den fachlichen und politischen Diskurs um Systeme, Inhalte und Instrumente unterstützt.

Die in Erasmus+ praktizierte Aufteilung in die bisherigen Erasmus+ Key-Activities 1, 2 und 3 hat sich für den Erwachsenenbildungsbereich als schwer operationalisierbar erwiesen. Es konnte sich daher nicht als wirkungsvolles Modell etablieren. Zwar wird mittlerweile nachgesteuert, es bleiben jedoch erhebliche Schwierigkeiten, einen systemischen Impact zu erzielen, der in der Erwachsenenbildung auf Grund fehlender Strukturen und systemischer Ausgestaltung (Träger, Politik, gesetzliche Grundlagen) immer nur ein mittelbarer sein kann.

 

Im Bereich der Key-Activity 2 und Key-Activity 3 bestehen in der Erwachsenenbildung Diskrepanzen zwischen der Erasmus+ Programmintention und der gestaltbaren Realität vieler Träger und Akteure. Dies muss in einer neuen Programmgeneration unbedingt berücksichtigt werden:

  • Es braucht eine bessere finanzielle Ausgestaltung der Personalkostenaufwendungen.
  • Ein systemischer Impact erfordert das Vorhandensein von umsetzungs- und gestaltungsfähigen Strukturen. Eine bessere Berücksichtigung der oftmals nicht kohärenten nationalen Erwachsenenbildungspolitiken und der unzureichenden nationalen Strukturen könnte durch die Etablierung von einerseits local impact schemes in den Programmen wie auch durch die Fokussierung auf Erfahrungsaustausch (niedrigschwellige Key-Activity 2) erreicht werden.

Weiterhin empfehlen wir, für den Aufbau von Strukturen und Akteuren ein Instrument adäquat zu einer Jean-Monnet Programmlinie "Adult learning and Citizenship" einzuführen, das den systematischen europäischen Kapazitätsaufbau im Bereich der Erwachsenenbildung national/lokal auch personell unterfüttert und zu unterstützt.

Ebenfalls sollte angedacht werden, das bestehende Programm Europe for Citizens stärker mit Erasmus+ zu verbinden (bspw. als transversale Programmlinie), wobei auch hier ein deutlicher Mittelaufwuchs erforderlich ist.

Budget/Finanzen

Wir unterstützen die Kampagne 10xErasmus+. Der AdB fordert eine eigene und finanziell angemessen ausgestattete Budgetlinie für den Bereich der Erwachsenenbildung, die hilft, eine Trendwende in der Erwachsenenbildung einzuleiten und an gute Ergebnisse des Vorgängerprogramms The Lifelong Learning Programme (LLP) anzuknüpfen. Ein Nachfolgeprogramm muss die politischen Realitäten in Europa insbesondere im Bereich der Demokratie und der Ausgestaltung einer solidarischen Gesellschaft berücksichtigen und gleichzeitig helfen, die strukturellen Defizite in der Erwachsenenbildung abzubauen.

Ein neues Programm sollte bürgerschaftliches Engagement im Erwachsenenbildungsbereich auch im europäischen Solidaritätskorps sinnvoll abbilden. Dies gelingt nur über einen Mittelaufwuchs.

Administration

Das Programm sollte an die positiven Erfahrungen der dezentralen Verwaltung über die Nationalagenturen anknüpfen. Sie erlaubt in vielerlei Hinsicht ein bedarfsorientierteres und an realen Herausforderungen orientiertes Aufgreifen und Steuern von Aktivitäten, so die Nationalagenturen entsprechend ausgestattet sind. Dennoch sehen wir es als erforderlich an, im neuen Programm den Interaktionsraum zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der European Commission DG EAC aus drei Gründen zu vergrößern:

  1. Im aktuellen Programm Erasmus+ manifestiert sich ein Wegfall an Formaten des partnerschaftlichen Dialogs sichtbar in einer wechselseitigen Entfremdung der Akteure, Inhalte und Diskurse zwischen "grass-roots"-Aktivitäten und Europäischer Ebene in Brüssel. Als spezielle Herausforderung besteht im Bereich der Erwachsenenbildung die politische Zuständigkeit der European Commission's DG for Employment, Social Affairs & Inclusion (DG EMPL), die nicht in einer Engführung von Bildung auf u. a. beschäftigungsrelevanten Kompetenzerwerb resultieren sollte.
  2. Die aktuelle dezentrale Programmverwaltung lässt in einigen Ländern politische Hürden entstehen, die dazu führen, dass gesellschaftspolitischen Themen wie Vielfalt, Machtverhältnisse etc. nicht mehr bearbeitet werden können, was zu allgemeinen Dilemmata im Bereich Erasmus+ führt (keine Antragstellung möglich, Ausweichen auf andere, weniger politische Themen etc.), insbesondere aber im Bereich Erwachsenenbildung eine wirkliche Herausforderung bedeutet.
  3. Aktuell stehen europäische Netzwerke und Plattformen mit Sitz in Belgien in Konkurrenz zu belgischen Antragstellern. Daher wäre eine eigene Leitaktion, die die Belange und den Mehrwert dieser europäischen Organisationen aufgreift auch im Sinne der besseren Ausgestaltung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der DG EAC wünschenswert.

 

Wir begrüßen die niedrigen Hürden und vereinfachte Administration der Erasmus+ Projekte über das Participants Portal und das Erasmus+ mobility tool. Wünschenswert wäre, wenn sich dies in allen Leitaktionen gleichermaßen abbildet und v. a. die Regeln innerhalb der verschiedenen Key-Activities gleich ausgestaltet würden.

Monitoring und Nachverfolgung

Europäischer Mehrwert besteht nicht nur auf der Ebene der geförderten Projekte. Der AdB fordert die zuständigen europäischen Stellen auf, diesen auch auf der Ebene des Programms stärker einzufordern: Die Situation von zivilgesellschaftlichen Organisationen hat sich in der laufenden Programmperiode in mehreren Programmländern dramatisch verschlechtert. Damit einher geht eine schleichende Verengung des Zugangs zu Erasmus+. Wir fordern angesichts der aktuellen Entwicklungen ein wesentlich konsequenteres Monitoring der Nationalagenturen durch die Europäische Kommission, mit dem Ziel, die souveräne Arbeit der Nationalagenturen zu stärken, u. a. bei der Verwirklichung der europäischen Grundrechte in den einzelnen Mitgliedsstaaten und zwar in programmtechnischer wie auch in inhaltlicher Hinsicht.

Über den AdB

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) ist ein Zusammenschluss von Trägern politischer Jugend- und Erwachsenenbildung mit unterschiedlichen Profilen. Sie widmen sich schwerpunktmäßig der politischen Bildung, Jugendbildung, Weiterbildung sowie der internationalen und interkulturellen Bildung. Der AdB will die außerschulische Bildung, insbesondere die politische Bildung, als Element der Allgemeinbildung, fördern.

 

Der AdB führt die Geschäftsstelle der europäischen NGO DARE – Democracy and Human Rights Education in Europe, ist Mitglied der EAEA und koordiniert verschiedenste europäische Projekte in der Jugend- und Erwachsenenbildung.
Der AdB ist konfessionell und parteipolitisch nicht gebunden. Er bietet ein Forum für fachlichen Erfahrungsaustausch, Fortbildung und gemeinsame bildungspolitische Interessenvertretung. Als wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur der Jugendhilfe auf Bundesebene wird der Verband vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

 

Ansprechpartnerin

Ina Bielenberg

Geschäftsführerin
Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB)
Mühlendamm 3, 10178 Berlin
Telefon: +49 (0)30 400 401-18
Email: bielenberg@adb.de
www.adb.de