“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Transformationen. Globale Entwicklungen und die Neuvermessung politischer Bildung

Das AdB-Jahresthema 2020
Jahresberichte
Der AdB – eine lebendige Organisation

Das Jahresthema 2020 des Arbeitskreises deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) lautet: „Transformationen. Globale Entwicklungen und die Neuvermessung politischer Bildung“. Es wurde in den Gremien des AdB entwickelt und vom Vorstand verabschiedet, als noch niemand ahnte, mit welchen Herausforderungen die politische Bildung und die (Welt)Gesellschaft 2020 konfrontiert sein würde.

Foto: Siren-Com/wikimedia.org; CC BY-SA 3.0
Foto: Siren-Com/wikimedia.org; CC BY-SA 3.0; https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en

Der Begriff Transformation steht für fundamentale und dauerhafte Wandlungsprozesse, für technologische Entwicklungen, für die zunehmende Digitalisierung, den Klimawandel, globale Migrationsbewegungen, aber auch für die in vielen Ländern zu beobachtenden Re-Nationalisierungsprozesse, die oftmals mit einem zunehmenden Populismus verbunden sind. Angesichts dieser Wandlungs- und Entwicklungsprozesse, die durch die Corona-Pandemie noch einmal verschärft wurden, ist die politische Bildung herausgefordert, ihr Selbstverständnis und ihre Praxis zu überdenken, eine Neuvermessung ihres Aufgabenfeldes vorzunehmen, Grenzen neu auszuloten und die Chancen, die den Entwicklungen innewohnen, für ihre gesellschaftspolitische Gestaltungskraft besser zu nutzen.

 

Diesen Prozess, der sich nahtlos in den aktuellen Verbandsentwicklungsprozess einfügt, wollten der AdB und seine Mitgliedseinrichtungen mit ihrem Jahresthema anstoßen.

 

Bereits während der AdB-Mitgliederversammlung am 27. November 2019 wurde die Stellungnahme zum Jahresthema  verabschiedet. Mit einer Fachtagung, die am 26./27. November 2019 in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing stattfand, wurde das Startsignal für die Aktivitäten in diesem Jahr gegeben.

 

Auf der AdB-Homepage wurde eine umfassende Literatur- und Linkliste zum Thema zur Verfügung gestellt und über einen Veranstaltungskalender auf Angebote der Mitgliedseinrichtungen zum Jahresthema hingewiesen. In jeder Ausgabe der AdB-Fachzeitschrift „Außerschulische Bildung“ wurde 2020 ein Beitrag zum Jahresthema aufgenommen. Diese Beiträge stehen auf der Jahresthemenseite zum Download bereit.

 

Fachtagung zur Vorbereitung des Jahresthemas 2020

 

Die Fachtagung, die als Jubiläumskongress am Gründungsort des AdB, im November 2019 in der Akademie für politische Bildung in Tutzing, durchgeführt wurde, führte inhaltlich in das Jahresthema ein.

 

Professor Dr. Wolfgang Merkel bei seinem einführenden Vortrag
Professor Dr. Wolfgang Merkel bei seinem einführenden Vortrag Foto: AdB

Mit dem einführenden Vortrag zum Thema „Transformationen. Die neue Zerbrechlichkeit der Demokratie“, gab Professor Dr. Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung einen fundierten Einblick in die jüngere weltweite Entwicklung der Demokratie aus vergleichender Perspektive. Deutlich wurde, dass die Qualität der Demokratien heute zwar signifikant höher ist als in den 50er bis 70er Jahren, diese aber verwundbarer und fragiler geworden sind. Gründe dafür sind z. B. die Globalisierung der Märkte und die Individualisierung der Gesellschaft, die unerfüllten Versprechen der Demokratie und der Rückgang des Vertrauens in die politischen Eliten. Auch der Vertrauensverlust in die zentralen Institutionen der repräsentativen Demokratie (Parteien, Parlamente, Regierungen), der unaufhaltsame Abstieg der Volksparteien und die Fragmentierung und Polarisierung des Parteiensystems sind zu nennen. Sozioökonomische Ungleichheit führt zu politischer Ungleichheit, d. h. die Wahlbeteiligung nimmt ab und die soziale Selektivität nimmt zu – auch durch neuere (digitale) Partizipationsformen, die fast nur von den Mittelschichten wahrgenommen werden. Eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie bestehe darin, so der Referent, dass das untere Drittel der Gesellschaft aus der politischen Partizipation ausgestiegen sei.

 

Herausforderungen, die durch Transformationen sichtbar werden, sind z. B. die zunehmende Heterogenität, soziale Ungleichheit, Europäische Integration, der Klimawandel sowie die Entparlamentarisierung. Insbesondere die Klimakrise und die globale Erderwärmung müssen als Zukunftsprobleme benannt werden, die angesichts der Schwäche der Demokratien bei Zukunftsentscheidungen nicht kleiner werden. Hier ist das Zusammenspiel der Länder von herausragender Bedeutung.

 

Die Aufgabe der politischen Bildung, so der Referent, liege in einer zerbrechlicher werdenden Demokratie darin, alle Menschen in die Diskurse einzubeziehen, die Komplexität großer Themen zu reduzieren und gemeinsam ganz konkrete, realistische Schritte zu entwickeln.

Teilnehmende des Fachkongresses
Teilnehmende des Fachkongresses Foto: AdB

Das Jahresthema macht deutlich, dass die Akteure politischer Bildung gefordert sind, Wissen zu erwerben und Netzwerke zu bilden, um der Komplexität der Herausforderungen Herr werden zu können. Wie das gelingen kann, stand am zweiten Tag des Fachkongresses im Mittelpunkt. Eingeführt wurde dieser Tag durch einen Vortrag von Professorin Ursula Münch zum Thema „Wenn sich alles verändert: Die Zukunft der politischen Bildung in Zeiten der Transformationen“.

 

Aufgaben für die politische Bildung:

 

  • die Thematisierung der gesellschaftspolitischen, ökonomischen und ethischen Aspekte der Digitalen Transformation;
  • die Befähigung zum Umgang mit digitalen Medien, Mediengestaltung und Vermittlung von medienkritischem Denken;
  • die Befähigung zur kritisch-reflexiven Auseinandersetzung mit den Ursachen sowie den Folgen der Digitalen Transformation;
  • ein Ausgleich für die nachlassende Bedeutung von „Leitplanken“ schaffen;
  • Grundverständnis für Pluralismus wecken;
  • Verfahren der Bürgerbeteiligung begleiten;
  • „algorithmisches Grundverständnis“ vermitteln.

 

Die zentralen Themen Digitalisierung, inklusive politische Bildung, politische Bildung mit Haltung sowie globale Entwicklungsziele wurden in vier Ideenwerkstätten zur Neuvermessung der politischen Bildung aufgegriffen. Die Rolle, die Angebote und Formate sowie das Selbstverständnis und die gesellschaftliche Funktion der politischen Bildung wurden angesichts aktueller globaler Entwicklungen kritisch reflektiert und es wurden konkrete Handlungsschritte entwickelt.

 

In einer Vielzahl von Veranstaltungen haben die Mitgliedseinrichtungen das Jahresthema im Jahr 2020 aufgegriffen. Hier werden exemplarisch einige wenige Seminare, Workshops und Tagungen benannt. Weitere Veranstaltungen finden sich im Veranstaltungsarchiv.

 

  • „Globale Transformation als Motor politischer Partizipation junger Menschen?“ – Waldbrände in Australien, Corona-Krise, Massenproteste gegen Rassismus und soziale Ungleichheit: Das Jahr 2020 brachte enorme Veränderungen mit sich, die uns auf Jahre beschäftigen werden. Welche Rolle können junge Menschen in diesen Veränderungen spielen? Welche Rolle hat die Kooperation zwischen schulischer und außerschulischer politischer Bildung dabei inne? Europäische Akademie Otzenhausen gGmbH
Foto: AdB
  • „Workshop: Degrowth mit Methode - Über Wachstumsparadigma, Krisen und Alternativen“ – Muss die Wirtschaft immer weiterwachsen? Woher kommt das Wachstumsparadigma? Und welche Ansätze und Alternativen zu einem „immer mehr“ gibt es? Welche Auswirkungen haben Krisensituationen wie die Corona-Krise auf den Degrowth-Ansatz? Im Workshop wurde über Postwachstum und Gesellschaftstransformationen diskutiert, Methoden dazu vermittelt und Zugänge eröffnet, um genau diese Fragen in der Bildungsarbeit angehen zu können. Es wurden Potenziale aber auch Fallstricke der Methoden sowie der Einfluss der aktuellen Krisensituation auf die Degrowth/Postwachstumsdebatte reflektiert. Heinrich-Böll-Stiftung e. V.

 

  • „Problemverursacher oder Problembewältiger? - Politische Bildung in Zeiten des Umbruchs“ – Das Modell der repräsentativen Demokratie ist in die Defensive geraten. Lange favorisierte liberale Gesellschafts- und Politikentwürfe scheinen heute mehr zu verunsichern, als dass sie Orientierung böten. Der demografische Wandel und die Digitalisierung bringen zusätzliche Ungewissheiten mit sich. Umgekehrt erfahren kommunitaristische Gegenmodelle Aufwind und auch Populismus und Nationalismus verfangen in immer größeren Teilen unserer Gesellschaft. Die Corona-Krise verdeutlicht und beschleunigt diese Entwicklungen. Politische Bildung steht vor drängenden konzeptionellen, inhaltlichen und methodischen Herausforderungen, wird aber auch zunehmend mit Vorbehalten konfrontiert. Akademie für Politische Bildung

 

  • „Position beziehen – Wie kann positionierte politische Bildung gelingen?“ – Rechter Populismus & AfD-Meldeportale einerseits und Extremismusvorwürfe andererseits sorgen derzeit für große Unsicherheit in der schulischen und in der außerschulischen politischen Bildung. Gleichzeitig erscheint es mit der Bedrohung z. B. durch Rechtsterrorismus und Rassismus und einem wachsenden Anti-Feminismus gerade jetzt notwendig, auch in der politischen Bildung Jugendliche zu ermutigen ihre Position zu diesen Entwicklungen zu finden. Einen Ansatzpunkt liefert die Frankfurter Erklärung. Wie kann eine positionierte politische Bildung, die sich an kritisch-emanzipierten Grundsätzen orientiert, aussehen? Es wurden konkrete Handlungsempfehlungen entwickelt. basa e.V. – Bildungsstätte Alte Schule Anspach

 

  • „Geht’s auch öko-fair? Von kritischem Konsum und nachhaltigen Lebensstilen“ – Was haben Plastik in den Weltmeeren, einstürzende Textilfabriken oder steigende Weltmarktpreise für Lebensmittel mit unserem Konsumverhalten zu tun? Wie wirken sich unsere tagtäglichen Konsumentscheidungen auf Umwelt und Menschen weltweit aus? Was hat Konsum mit Nachhaltigkeit zu tun? Im Seminar gingen die Teilnehmenden diesen Zusammenhängen auf den Grund und nahmen verschiedene Facetten des kritischen Konsums in den Blick. Haus Neuland e. V.

 

  • „Der Reiz des Autoritären - Liberale Demokratien unter Druck“ – Überall auf der Welt sind autoritäre Systeme auf dem Vormarsch, machen sich antidemokratische und illiberale Strukturen breit. Auch in scheinbar gefestigten Demokratien des Westens bekommen Politiker und Parteien mit autoritären Programmen Zustimmung und gelangen sogar in Regierungsverantwortung. Grundrechte und Gewaltenteilung stehen auch in einigen EU-Staaten zur Disposition und werden teilweise ausgehebelt. Während der Tagung wurden grundsätzliche Fragen des Themas erörtert und diskutiert, welche Herausforderungen auf die schulische und außerschulische politische Bildung angesichts dieser Entwicklungen zukommen. Georg-von-Vollmar-Akademie

 

  • „Die sozial-ökologische Wende - Eine globale Herausforderung nach COVID-19“ – Die COVID-19-Pandemie stellt Europa und die Welt vor nie gesehene Herausforderungen. Das Überwinden des gesundheitlichen Risikos und der verheerenden sozialen und ökonomischen Folgen darf allerdings nicht zu einer verfehlten Politik der Orientierung am „Status quo-ante“ führen. Wir müssen vielmehr unser Handeln in allen Lebensbereichen überdenken und erneuern. Der European Green Deal muss ambitioniert in die Realität umgesetzt, die Europäische Säule Sozialer Rechte mit Leben gefüllt und der digitale Wandel fair gestaltet werden. Mit den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 steht ein globales Zukunftskonzept zur Verfügung, das wir mit Blick auf die aktuelle Krise im Norden wie im Süden umso ehrgeiziger verfolgen sollten. Europäische Akademie Otzenhausen gGmbH

 

Das Thema „Transformationen. Globale Entwicklungen und die Neuvermessung politischer Bildung“ wird den AdB und die politische Bildung insgesamt weiterhin beschäftigen, denn die mit dem Jahresthema benannten Herausforderungen und die mit der Corona-Pandemie noch einmal verschärften Bedingungen sind natürlich über das Jahr hinaus höchst relevant. Hier kommt dem AdB sein auf mehrere Jahre hin angelegter Verbandsentwicklungsprozess zugute. An diesem weiterzuarbeiten und die politische Bildung gut und breit aufzustellen, ist die Herausforderung der kommenden Jahre.