“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Beteiligung bildet – Bildung beteiligt

Diskussion über Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung und die Rolle außerschulischer politischer Bildung
Foto: AdB
11.07. 2023

Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung und die Rolle außerschulischer politischer Bildung

Der am 27. Juni 2023 von der Akademie für Kinder- und Jugendparlamente organisierte Fachtag in der Berliner Landeszentrale für politische Bildung „Beteiligung bildet – Bildung beteiligt“ machte bereits im Titel den Zusammenhang zwischen Bildung und Beteiligung deutlich: Beteiligungsprozesse können als Lerngelegenheiten angesehen und für die politische Bildung fruchtbar gemacht werden. Zudem ist die politische Bildung selbst gut beraten, Teilhabe und Mitgestaltungsgelegenheiten zu schaffen, um aktives Politik-Lernen zu ermöglichen.

 

Auch in den Ende 2022 überarbeiteten Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung wird im Kapitel „Außerschulische politische Jugendbildung“ (6.4.5) Partizipation als wichtige Bedingung für politische Bildungsprozesse beschrieben und auf die Notwendigkeit der partizipativen Gestaltung der Bildungsangebote und -institutionen selbst hingewiesen. In seinem einleitenden Vortrag stellte Dr. Christian Lüders, Mitglied des Bundesjugendkuratoriums, den Entstehungskontext und das Konzept der Qualitätsstandards vor, bevor er auf die feldspezifischen Qualitätsstandards näher einging. Er machte dabei deutlich, dass die einzelnen Kapitel zu den jeweiligen Handlungsfeldern nicht losgelöst von den übergreifenden Qualitätsstandards zu betrachten seien.

 

Ina Bielenberg, Geschäftsführerin des AdB, nahm im Anschluss aus der Perspektive der institutionalisierten außerschulischen politischen Bildung die Frage in den Blick, wie Kinder und Jugendliche in den eigenen Angeboten beteiligt werden können und welche Bedeutung die Qualitätsstandards aktuell in der Praxis politischer Bildung haben. Sie stellte dabei durchaus selbstkritisch fest, dass im Hinblick auf Teilhabe und Mitgestaltungsmöglichkeiten noch viel gemacht werden könne, auf der anderen Seite aber auch schon einiges passiere, wie auch die Workshops am Nachmittag zeigen sollten. Gleichzeitig mahnte sie, dass die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an den Angeboten nicht entpolitisiert stattfinden dürfe. Diese entspreche dem politischen Bildungsauftrag mit den zentralen Kategorien von Macht, Herrschaft, Interesse und Willensbildung.

 

Dominik Ringler, Leiter des Kompetenzzentrums Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg (KijuBB) stellte in seinem Kommentar aus der Perspektive der Kinder- und Jugendbeteiligung die Frage, wann Beteiligung eigentlich politische Bildung ist und in welchem Verhältnis beide zueinander stehen. Er machte deutlich, dass politische Bildung zwar ein Teil von Beteiligung ist, gleichzeitig aber mehr ist als Beteiligung. So leiste sie in verschiedenen Formaten einen Beitrag zu einer wertebasierten Demokratie und biete einen Raum zur Reflexion und Einbettung der Partizipationserfahrungen. Während es in Beteiligungsverfahren vorrangig darum gehe, die Interessen von Kindern und Jugendlichen in Entscheidungsabläufen zu berücksichtigen, ziele die politische Bildung im Kern darauf ab, das Interesse an politischen Fragen und das Verständnis für Demokratie zu erhöhen. Um Demokratie nicht nur auf der technischen Ebene umzusetzen und auch Raum für die Diskussion um Inhalte und Werte zu bieten, müsse politische Bildung Beteiligungsprozesse notwendigerweise begleiten.

 

In der anschließenden Fishbowl wies auch Ina Bielenberg angesichts der aktuellen Wahlerfolge einer rechtspopulistischen Partei darauf hin, dass politische Bildung nicht neutral sei und sich an demokratischen Werten orientiere. Zum Erhalt demokratischer Handlungsfähigkeit müsse sie einerseits zur Beteiligung an und zum Vertrauen in demokratische Institutionen beitragen. Andererseits müsse sie den Rechtsruck thematisch aufgreifen, kritisch diskutieren und menschenverachtenden Positionen deutlich widersprechen.

 

In der Debatte, wie politische Teilhabe für alle gelingen kann, kam Christian Lüders zu dem Schluss, dass die außerschulische politische Bildung die erste Adresse sei, die über diese Frage nachdenkt und auf Diversität aufmerksam macht, ohne jedoch selbst bereits alle zu erreichen. Wie Partizipation mit allen funktionieren kann, bleibe eine Herausforderung, der es sich zu stellen gilt.

 

Eine längere Diskussion entspann sich auch aus dem Publikum heraus an der von jungen Menschen häufig vorgetragenen Forderung nach mehr politischer Bildung und ob die Schule der richtige Ort für Beteiligung sei. Skeptisch wurde vom Podium angemerkt, dass in der Schule zwar (zwangsweise) alle da seien, es aber fraglich sei, ob sie dort auch für Beteiligung erreicht werden können. Gleichzeitig stellte sich jedoch die Frage, wo denn außerhalb der Schule die Orte zu finden seien, an denen sich junge Menschen über ihre Interessen verständigen können, wenn die bestehenden Strukturen der Jugendarbeit abgebaut werden. Deutlich wurde, dass Programme wie „Demokratie leben!“ diese Strukturen nicht ersetzen können, es vielmehr Kontinuität und Regelförderung und am Ende auch die Zusammenarbeit mit der Schule braucht.

 

Dominik Ringler forderte zum Abschluss der Fishbowl ein „neues“ Verständnis davon, was politische Bildung ist und wo sie im Alltag der Jugendarbeit stattfindet. Die Diskussionen um Werte und gesellschaftliche Zusammenhänge müssen von allen Fachkräften geführt werden. Auch Ina Bielenberg ergänzte, dass das häufig kolportierte Bild der politischen Bildung als frontal gelehrte Institutionenkunde weder dem Anspruch noch der Praxis entspreche, den politischen Dimensionen in den Anliegen junger Menschen Raum zu geben und diese im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Strukturen zu diskutieren.

 

In den Workshops ging es um die in den Qualitätsstandards benannte partizipative Gestaltung der Bildungsangebote und -institutionen. Der jugendBEIRAT der Jugendbildungsstätte wannseeFORUM wurde vorgestellt und Chancen und Herausforderungen diskutiert. Es wurde die partizipative Gestaltung von Bildungsangeboten in den Blick genommen, Beispiele digitaler Beteiligungsräume vorgestellt sowie die Eröffnung von Zugängen zu Beteiligungsprozessen gerade für diejenigen, die bislang weniger erreicht werden, diskutiert. Schließlich ging es um die Frage, wie die in den Qualitätsstandards aufgestellte Forderung nach Reflexion und Einbettung der Partizipationserfahrungen zur Ausbildung der politischen Urteils- und Handlungsfähigkeit in der Praxis konkret aussehen kann. Aufgabe der Fachkräfte sei es, den Blick nicht nur auf das Ergebnis von Beteiligung, sondern auch auf den Prozess zu lenken und statt Ergebnisfokussierung auch politischen Diskussionen einen Raum zu geben.

 

In ihren abschließenden Worten griff Anne Dwertmann, Mitglied im AdB-Vorstand, diese Debatten noch einmal auf und rief dazu auf, das Denken und Handeln in fachlichen „Säulen“ aufzugeben und viel mehr die Wechselbeziehung von Beteiligung und politischer Bildung in den Vordergrund zu stellen. Die politische Bildung müsse mit Beteiligung zusammengedacht werden. Gleichzeitig dürfe Beteiligung dabei kein Selbstzweck sein. Bei der Umsetzung der Qualitätsstandards sieht sie dafür die besten Chancen.

 

Der Fachtag wurde moderiert von Dr. Anna Grebe.