“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Der 8. Mai – „im Kalender des Erinnerns – der beste Tag zum Feiern“

Foto: AdB
7.05. 2020

Die Bedeutung politischer Bildung über den Tag hinaus

„Haben wir im Moment nichts Wichtigeres zu tun, als uns an den 8. Mai 1945 zu erinnern? Schließlich sind wir im Krieg gegen ein Virus …“ fragt provokant der Berliner Historiker Paul Nolte im Tagesspiegel (vom 06.05.2020) und regt damit ein vielschichtiges Nachdenken und die Formulierung vielfältiger „Nachfragen“ an: Ist nur noch Corona eine Nachricht wert? Regiert Corona unser Denken und unser Handeln? Was ist darüber hinaus wichtig? Aber auch: Was bedeutet es, wenn wir einen Tag als „Tag der Erinnerung“ benennen, ihn gar zum Feiertag machen, wie in Berlin für dieses Jahr beschlossen? Ja, was bedeutet der 8. Mai 1945 heute überhaupt noch? Wer füllt dieses Datum mit welchen Gedanken, vielleicht Erinnerungen?

 

Gedenktage stehen nie einfach nur für sich. Sie sind eingebettet in Narrative, illustriert mit Bildern und Erinnerungen, und sie sind mit einer „offiziellen“ Erzählung verknüpft. Für die Nachfahren der Opfer und Verfolgten des Nationalsozialismus wird ein solcher Tag ein besonderes Gewicht haben. Der jüdische Autor Max Czollek sagt in diesem Zusammenhang, wenn überhaupt ein Tag im Kalender des Erinnerns zum Feiern sei, dann dieser. Aber Gedenktage werden ihre Bedeutung für eine Gesellschaft nicht entfalten, wenn sie nicht mit Leben gefüllt werden, d. h., wenn sie keinen Bezug zu aktuellen Fragen und Lebenswirklichkeiten bekommen.

 

Genau das sieht die politische Bildung als ihre Aufgabe an: in schulischen und gerade auch außerschulischen Kontexten und Bildungsformaten Erinnerungskultur lebendig zu halten, Bezüge herzustellen und Fragen zu beantworten. Die Auseinandersetzung mit nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Diskursen ist ein Kernbestandteil politischer Bildung. Nicht nur an diesem Tag oder anderen Gedenktagen, sondern über das ganze Jahr, denn auch dieser 8. Mai im Jahr 1945 stand nie für sich, sondern hat eine Geschichte davor und danach.

 

Für Paul Nolte ist – Bezug nehmend auf die Rede Richard von Weizsäckers, die dieser vor 35 Jahren gehalten hat – dieser Tag nicht nur ein „deutscher, sondern europäischer, ja globaler Knotenpunkt der Erinnerung“. Der Gefahr, diese Europäisierung des Erinnerns als „Entlastung“, wie Max Czollek es benennt, zu verstehen, sollte man sich dabei bewusst sein. Es kann aber eben auch den Blick dafür schärfen, dass Erinnerung immer aus sehr unterschiedlichen Perspektiven geschieht.

 

Gerade hier ist die politische Bildung gefragt.

 

Um noch einmal auf den Anfang zurückzukommen: Wir dürfen nicht bei den Herausforderungen durch die Corona-Pandemie stehen bleiben und alles andere darüber vergessen. Natürlich reagieren wir, reagiert die politische Bildung auf die Herausforderungen, entwickelt spannende Formate, die auch mit Abstandsregelungen gut zu realisieren sind, trifft sich im digitalen Raum und passt ihre Angebote den Geboten an. Politische Bildung muss aber auch als Raum für junge und ältere Menschen bestehen bleiben, die sich außerhalb der gewohnten Orte zusammenfinden, die sich begegnen und sich – zum Beispiel – über verschiedene Zugänge über die Bedeutung des 8. Mai 1945 bewusstwerden.

 

Der 8. Mai erinnert uns auch daran, dass es gerade in diesen Zeiten nicht nur darum geht, auf Wirtschaft, Lehrpläne und individuelle Unterstützungen zu schauen, sondern den gesellschaftlichen Diskurs und die non-formale politische Bildung zu stärken und breit zugänglich zu halten.