Mehrere Personen der Kommission EIA sitzen an einem langen, rechteckigen Tisch in einem hellen Raum mit großen Fenstern. Die meisten Personen sind nach vorne oder zur Seite gewandt. Auf dem Tisch liegen Laptops, Notizblöcke und Kaffeetassen.

Internationale Jugendarbeit im Zeichen der Demokratiedämmerung? Perspektiven auf eine politisch reflexive Demokratiebildung

Auf ihrer Herbstsitzung am 1. und 2. Oktober 2025 beschäftigten sich die Mitglieder der AdB-Fachkommission Europäische und internationale Bildung einmal mehr mit der Frage der Demokratie(n) unter Druck. Wie verändert sich die Leitdiskurse der internationalen politischen Bildung unter dem Druck der gesellschaftspolitischen Herausforderungen?

Während des im Rahmen der Kommissionssitzung organisierten Fachtags erörterte Dr. Stefan Schäfer von der Katholischen Hochschule Köln/Forschung und Praxis im Dialog in einem Fachinput die komplexen Veränderungen fachlicher Bezugsrahmen politischer Theorie und Demokratietheorie für internationale Bildungs-und Begegnungsarbeit und widmete sich darin zentralen Fragen: 

  • Inwieweit kann internationale Jugendarbeit (IJA) angesichts einer zunehmenden Erosion demokratischer Institutionen – einer „Demokratiedämmerung“ – zur Demokratiebildung beitragen?
  • Warum ist hierfür eine vertiefte politiktheoretische Reflexion notwendig?
  • Ist der Begriff Demokratiebildung angemessen?

Der Begriff der Demokratiedämmerung (Selk 2023) bezeichnet nicht nur institutionelle Krisen demokratischer Systeme, sondern auch den drohenden Bedeutungsverlust demokratischer Theorie und Praxis. Schäfer fordert eine doppelte Bewegung: IJA soll sich sowohl inhaltlich mit Demokratie auseinandersetzen als auch ihre demokratietheoretischen Grundlagen kritisch reflektieren. Internationale Jugendarbeit umfasst Formate wie Freiwilligendienste, Jugendbegegnungen und politische Austauschprogramme. Sie fördert transnationale Lernerfahrungen und Kooperation. 

Schäfer betont, dass IJA immer politisch ist – eingebettet in gesellschaftliche Deutungen, staatliche Förderlogiken und demokratiepolitische Erwartungen. Andreas Thimmel stellte bereits 2010 fest, dass die politische Dimension von IJA konstitutiv ist. In den letzten Jahren gewann die Diskussion über Demokratiebildung in der Jugendarbeit an Bedeutung. Dabei stellt sich die Frage, ob IJA demokratische Kompetenzen tatsächlich fördern kann – und ob das zugrundeliegende Demokratieverständnis ausreichend differenziert ist. In der Arbeitsgruppe „Politische Dimension der IJA“ (Forschung und Praxis im Dialog) werden dabei zentrale Spannungsfelder wie interkulturelles Lernen, Pluralität und neoliberale Einflussnahmen thematisiert. Demokratie erscheint hier als dynamischer Aushandlungsprozess, nicht als festes Ziel.

Der 16. Kinder- und Jugendbericht (2020) betont, dass politische Bildung und Demokratiebildung untrennbar miteinander verbunden sind. Auch Fachbeiträge und politische Positionierungen, etwa von Dreber (2021) oder dem Bayerischen Jugendring, erkennen das Potenzial von IJA für demokratische Bildungsprozesse an. Damit wird IJA zunehmend auch demokratiepolitisch legitimiert, über ihren traditionellen Bildungsauftrag hinaus.

Demokratiebildung umfasst dabei politische Urteilskraft, Diskussionskultur, Toleranz und Teilhabekompetenz. Internationale Begegnungen bieten Räume für erfahrungsbezogenes Lernen. Zugleich zeigt sich Kritik an der engen Verknüpfung von Demokratiebildung und Extremismusprävention: Wenn Jugendliche primär als Risiko adressiert werden, gehen Offenheit und Partizipation verloren. Auch das BMFSFJ (2020) warnt vor einer solchen Gleichsetzung.

Die Fachdebatte kennt unterschiedliche Modelle: Von lebensweltorientierten, strukturbezogenen Ansätzen über gelebte Demokratie in Jugendbegegnungen bis hin zu Citizenship Education und radikalen demokratiepädagogischen Konzepten. Stefan Schäfer selbst plädiert für eine konflikttheoretisch fundierte Demokratiebildung, die Widersprüche und Machtverhältnisse offenlegt. Andreas Thimmel ergänzt dies durch den Begriff reflexiver Internationalität. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Demokratiekrise – verstanden als Erosion demokratischer Institutionen und Legitimität – geraten auch Praxis und Ausrichtung der IJA unter Druck. Schäfer warnt vor einer Instrumentalisierung: Wenn IJA als Reparaturbetrieb für Demokratiekrisen dient, ohne diese kritisch zu reflektieren, verfehlt sie ihren Anspruch. Probleme wie die Entpolitisierung von Partizipation oder der ideologisch überformte Bürgerbegriff im Kontext von „Active Citizenship“ verschärfen diesen Widerspruch. Stattdessen fordert Schäfer drei Dinge: Erstens eine wissenschaftliche Begleitung, die nicht nur dokumentiert, sondern kritisch reflektiert. Zweitens einen stärkeren Dialog zwischen Theorie und Praxis, um Konzepte und Zielkonflikte offen zu legen. Und drittens eine Qualifizierung von Fachkräften, die politiktheoretisches Wissen und Diskurs einschließt. 

Im Fazit konstatiert Schäfer: Internationale Jugendarbeit wurde lange in ihrer politischen Dimension unterschätzt, wird nun aber als Demokratiebildung legitimiert – oft ohne ausreichend theoretische Fundierung. Es bedarf einer tiefergehenden Reflexion demokratiepädagogischer Konzepte, einer Betonung konflikttheoretischer Perspektiven und einer ernsthaften Auseinandersetzung mit politischen Spannungsfeldern. Nur so kann IJA junge Menschen nicht nur auf Demokratie vorbereiten, sondern ihnen demokratische Praxis als lebendigen, strittigen und gestaltbaren Prozess erfahrbar machen.

Den Kommissionsmitgliedern erschien als eine zentrale Herausforderung, ernst zu nehmen, dass eine europäische/internationale Debatte vor dem Kontext international völlig unterschiedlich begründeter Praxen von Begegnungsarbeit und politischer Bildung zu leisten sei. Vor diesem Hintergrund sei es zentral, den deutschen IJA-Diskurs und die IJA-Forschung in ihren internationalen Bezugspunkten zu stärken und ihn weniger als Randdiskurs eines Fachfelds innerhalb deutschen Jugendarbeitslogik auszugestalten. Hierbei kämen Bezugspunkte wie Menschenrechte, Grundrechte zum tragen, genauso wie sehr unterschiedliche Bildungs- und Sozialisationskontexte junger Menschen. Die starke Trennung zwischen internationaler Arbeit und politischer Bildung im nationalen Kontext ist ein deutsches Spezifikum, dem müsse gerade in den Fachkontexten politischer Bildung entgegengewirkt werden, da die künstliche diskursive Trennung auch in Schwierigkeiten resultiere internationale Fachdebatten im deutschen Kontext nachzuvollziehen.

Was bedeutet das nun für die Praxis? Der Globe als Handlungsrahmen ändert sich dramatisch, für junge Menschen und für Bildungspersonal. Im konkreten Ansatz einer aufsuchenden und ermöglichenden politischen Bildungsarbeit mit dem Ziel Empowerment für demokratischen Wandel und Teilhabe zu leisten, ändert sich auf der Basis an sich wenig. Jedoch bestehen erhebliche Schwierigkeiten von Bildungspraxis, sich in stark verändernden Realität von Politik als Handlungsrahmen zu bewegen. Mit Emanzipation und Machtkritik allein sei dies – so die Erfahrung gerade aus der Kontext der Arbeit mit internationalen Partnern – nicht getan. Politik als solche müsse verstärkt Gegenstand von Bildungsarbeit werden. Als hilfreich empfanden die Kommissionsmitglieder diesbezüglich auch das Kompetenzprofil für Fachkräfte außerschulischer politischer Jugendbildung da es einer Systematisierung und Strukturierung für Fachkräfte ermögliche. Zentral sei, gute politische Bildungsarbeit zu leisten und sich darüber klar zu werden, dass die Herausforderung der deutschen Kontexte vor dem Hintergrund europäischer und internationaler Entwicklungen zu verstehen sei. Ein wichtiger Schritt dazu sei es, die Praxis internationaler politischer Bildung sichtbarer zu machen und sich verstärkt mit Forschungs- und Sozialwissenschaftsakteuren auszutauschen.

Mit der Sitzung in der Stiftung Begegnungsstätte Gollwitz wurde die EIA-Kommission ihrem Anspruch gerecht, sich verstärkt mit sozialwissenschaftlichen und politiktheoretischen Perspektiven auseinanderzusetzen. Das ist durchaus anspruchsvoll, zugleich erfordern die sich rasant ändernden gesellschaftspolitischen Bedingungen eine Schärfung der konzeptionellen Grundlagen der eigenen Pädagogik und Bildungsarbeit.

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Georg Pirker
Georg Pirker

Georg Pirker

Referent für internationale Aufgaben

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