Jugendpolitische Fachveranstaltung zu Strategien der Kinder- und Jugendhilfe gegen An- und Eingriffe von extrem rechts
Am 15. Oktober 2025 fand im Haus der Jugendarbeit und Jugendhilfe (HdJ) die jugendpolitische Fachveranstaltung „Demokratie unter Druck! Strategien der Kinder- und Jugendhilfe gegen An- und Eingriffe von rechts“ statt. Der AdB war als Teil des HdJ Mitveranstalter. Die große Resonanz unterstreicht die Aktualität des Themas.
Demokratie gerät zunehmend unter Druck. Dass das nicht spurlos an der Kinder- und Jugendhilfe vorbeigeht, wurde u. a. an dem großen Interesse der Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe deutlich, die aus den unterschiedlichen Bereichen in das Haus der Jugendarbeit und Jugendhilfe (HdJ e. V.) kamen.
Extrem rechte Akteure versuchen immer stärker, Einfluss auf die Fachpraxis, die Strukturen und Inhalte zu nehmen. Einrichtungen und Personen werden angegriffen. Wie kann die Kinder- und Jugendhilfe diesen Entwicklungen begegnen? Welche Strategien sind notwendig, um die für die demokratische Gesellschaft existenzielle Arbeit zu schützen und zu stärken? Diese Fragen wurden während der jugendpolitischen Fachveranstaltung diskutiert.
In seiner Begrüßung beschreibt Mike Corsa, Vorsitzender HdJ e. V., in welcher Weise die veränderte Stimmung und die Angriffe von extrem rechter Seite, die Ablehnung von Vielfalt und einer menschenrechtsbasierten Bildungsarbeit die Diskussionen in Politik und Gesellschaft prägen. Die Kinder- und Jugendarbeit, die Jugendverbände und die Träger politischer Bildung sehen sich immer wieder Angriffen ausgesetzt. Mike Corsa zitierte eine Studie von Benno Hafeneger (2020), die deutlich macht, wie die Umsetzung der extrem rechten Vorstellungen eine veränderte Förderpolitik und Trägerlandschaft mit neuen Schwerpunktsetzungen nach sich ziehen würde, wie Pluralismus und Handlungsspielräume verengt würden. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, immer wieder Position zu beziehen und Empfehlungen zum Umgang mit der AfD und anderen rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Akteuren abzugeben. Die Kinder- und Jugendhilfe muss als starkes Netzwerk für Demokratie und Menschenrechte sichtbar sein.
In ihrem einführenden Vortrag bot Jana Sämann, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Siegen, einen weiteren Zugang zum Thema. Zugeschaltet von einem Forschungsaufenthalt in Melbourne, machte sie deutlich, wie umfassend die extrem rechte Einflussnahme mittlerweile ist und auf welche Herausforderungen das bei den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe stößt. Der Mangel an Ressourcen erschwere die Umsetzung handlungsleitender Konzepte und in den Studiengängen würde zu selten auf die Notwendigkeit politischer Bildung hingewiesen – so zwei ihrer Befunde. Die finanziellen Engpässe würden sich (auch) in unsicheren Zukunftsszenarien ausdrücken, so die Referentin. Sie ging in ihrem Vortrag vor allem auf die immer wiederkehrende Diskussion um Neutralität ein, sowie auf die Delegitimations- und Einflussnahmeversuche, die über das Thema Neutralität durch die extreme Rechte erfolgen. Wie muss politische Bildung darauf reagieren, wenn Akteure und Inhalte mit einer aggressiv vorgetragenen Neutralitätsforderung delegitimiert werden?
Deutlich wurde: Weder die politische Bildung noch die Akteure der Kinder- und Jugendhilfe sind neutral: Die demokratischen, menschenrechtsorientierten Werte müssen gelebt und verteidigt werden. Rassistische und rechtsextreme Positionen müssen als solche benannt werden. Wichtig sei es, die Fachkräfte zu stärken und der Selbstbeschränkung – ausgelöst durch Verunsicherung und Zukunftssorgen – entgegenzutreten.
Vier Workshops, die von den im HdJ zusammengeschlossenen Verbänden organisiert wurden, widmeten sich besonderen Perspektiven auf das Thema:
- Demokratiefeindliche Tendenzen in Social Media. Beobachten – analysieren – dokumentieren – In diesem Workshop, organisiert und verantwortet vom AdB und der BAJ, stellte Milena Pustet, Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), das KI-gestützte Tool Teledash vor, mit deren Hilfe die thematischen „Kanäle“ von Telegram analysiert und darin enthaltene demokratiefeindliche Tendenzen erkannt werden können. Die Teilnehmer*innen konnten die Funktionsweise des Tools zum Thema Rechtsextremismus und Verschwörungserzählungen ausprobieren und diskutierten die Übertragbarkeit auf andere Themenbereiche und Social Media-Kanäle. Das Projekt zur Entwicklung endet in diesem Jahr (https://arai-telegram.github.io). Der Plan ist, das Tool als Open-Source-Software zur Verfügung zu stellen.
- Haltung zeigen, professionell handeln – Fachkräfte stärken angesichts rechtsextremer Bedrohungen – Der Workshop, organisiert und verantwortet vom AdB und der AGJ, widmet sich dem Umgang mit Verunsicherung und dem professionellen Reagieren auf rechtsextreme Diskursstrategien. Thematisiert wurden die Verantwortung der Träger, Möglichkeiten der Professionalisierung sowie konkrete Wege der Zusammenarbeit. Ina Bielenberg stellt das vom AdB entwickelte Kompetenzprofil für Fachkräfte der politischen Bildung (www.adb.de/politische-bildung/kompetenzprofil) vor. Eva-Lotta Bueren berichtete über die AGJ-Positionierung zur Stärkung von Verbänden.
- Mythos Neutralitätsgebot – In diesem Workshop, organisiert und verantwortet vom AdB und dem DBJR, erfolgte nach einem Input eine Auseinandersetzung mit dem Mythos eines vermeintlichen Neutralitätsgebotes für die Kinder- und Jugendhilfe als eine gezielte Strategie der extremen Rechten gegen die freie Jugendhilfe. Neben einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem „Mythos Neutralitätsgebot“ wurden im Workshop insbesondere mögliche Gegenstrategien und die die Stärkung der eigenen Haltung gegenüber solchen Verunsicherungsstrategien diskutiert. Die Teilnehmenden setzen sich damit auseinander, wie Träger mit konkreten Strategien gegen die Jugendhilfe umgehen können und haben anhand von Praxisbeispielen entsprechende Gegenstrategien diskutiert und weiterentwickelt.
- Shrinking Spaces – Jugendbeteiligung in Deutschland in Europa unter Druck – Diesen Workshop, organisiert und verantwortet von der AGJ und dem DBJR, wurden die zunehmenden Einschränkungen für zivilgesellschaftliche Organisationen und demokratische Räume in Deutschland und Europa in den Blick genommen. Die Infragestellung von Akteuren die sich für gesellschaftliche Vielfalt und die Grund- und Menschenrechte einsetzen, sind konkret. Die Zivilgesellschaft gerät zunehmend unter Druck, sei es durch restriktive Gesetzgebungen, finanzielle Kürzungen oder direkte Eingriffe in ihre Arbeit. Das beeinflusst die Voraussetzung wirksamer Jugendbeteiligung massiv.
In einem Abschlusspanel diskutierten MdB Helge Lindh (SPD), Mitglied im Innenausschuss und Sprecher der AG „Strategien gegen Rechtsextremismus“, und MdB Ansgar Heveling (CDU), Mitglied des Ausschusses für Bildung, Familie, Frauen, Senioren und Jugend, mit Kirstin Weis, Geschäftsführerin des HdJ e. V., und mit den Teilnehmer*innen. Moderiert wurde die Runde von Lars Reisner (Deutscher Bundesjugendring e. V.).
Dabei ging es u. a. um die Frage, wie die freie Jugendhilfe durch den Staat und die Verwaltung gestärkt werden kann, wenn die extreme Rechte versucht, das Engagement für Demokratie und eine offene Gesellschaft zurückzudrängen und Ehrenamtliche einzuschüchtern. Es braucht einen engen Schulterschluss aller demokratischer Kräfte, auch, um den zunehmenden antidemokratischen Einstellungen bei jungen Menschen zu begegnen. Zudem braucht es eine verlässliche Unterstützung und Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe – gerade in strukturschwachen Regionen. Dabei wurde noch einmal deutlich, dass sich die Finanzierung öffentlicher Haushalte perspektivisch weiter verschärfen wird. Wichtig ist es ebenso, die Verwaltung von Kommunen, Bund und Ländern zu stärken, damit diese die Jugendhilfe besser unterstützen kann. Nicht das Wegducken und die (Selbst-)Einschränkung der eigenen Arbeit kann die Lösung sein, denn dann greifen die Einschüchterungsstrategien. Unterstützung kann vom Gesetzgeber kommen, wenn der den Angriffen auf die zum überwiegenden Teil gemeinnützig organisierte Jugendhilfe mit klaren Bekenntnissen zu Demokratie und Vielfalt begegnet. Es gehe darum, so Helge Lindh in seinem Abschlussstatement, die Demokratie auszubauen und nicht nur zu verteidigen.
Die Veranstaltung bot nicht zuletzt Raum für Vernetzung und den kollegialen Austausch, was viele der Teilnehmenden beim Get together nach dem inhaltlichen Part nutzten.
Der Fachtag wurde von den HdJ angesiedelten bundeszentralen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe organisiert: der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, dem Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB), der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. (BAJ) und dem Deutschen Bundesjugendring e. V. (DBJR).