„Alles geben für Kinder und Jugendliche – aber wer?“ Fachtag im Haus der Jugendarbeit und Jugendhilfe
Am 16. Oktober 2024 fand im Haus der Jugendarbeit und Jugendhilfe e. V. (HdJ) ein Fachtag unter dem Titel „Alles geben für Kinder und Jugendliche – aber wer?“ statt. Die Veranstaltung wurde von den HdJ angesiedelten bundeszentralen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe organisiert: der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, dem Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB), der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e. V. (BAJ) und dem Deutschen Bundesjugendring e. V. (DBJR).
Im Fokus der Veranstaltung stand der eklatante Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe. Expert*innen und Fachkräfte aus Wissenschaft, Praxis und Politik diskutierten über Ursachen und Lösungsansätze.
Professor Dr. Thomas Rauschenbach, Seniorprofessor an der TU Dortmund, hielt den einführenden Vortrag mit dem Titel: „Die Fachkräftemisere in der Kinder- und Jugendhilfe: Quantitative Mängel und ihre qualitativen Folgen“. Er gab Einblicke in Beschäftigungsstatistiken, in die Kinder- und Jugendhilfestatistik und in aktuelle Zahlen des Forschungsverbunds TU Dortmund und Deutsches Jugendinstitut (DJI).
Er erläuterte die Entwicklungen, die „hinter den Zahlen“ sichtbar werden. Deutlich wurde, dass der Kinder- und Jugendhilfebereich – trotz Fachkräftemangel und nicht besetzter Stellen – ein stark wachsendes Arbeitsfeld und mittlerweile gesellschaftlich breit akzeptiert ist. Seit 2006 arbeiten eine halbe Million Menschen zusätzlich in diesem Bereich, auch wenn nicht alle Teilbereiche die gleichen Entwicklungen aufzeigen. Die Verhältnisse in Ost- und Westdeutschland sind in Bezug auf verschiedene Parameter sehr unterschiedlich. Einflussfaktoren auf den Arbeitsmarkt sind ein massiver Generationenwechsel, Zuwanderung, Entwicklungen der Geburtenrate und die z. T. bedeutenden Schwundquoten in der Ausbildungszeit. Es brauche mehr Ausbildung, denn der Arbeitsmarkt sei leergefegt, so Rauschenbach.
Professor Rauschenbach gab den Teilnehmer*innen einige Handlungsempfehlungen mit auf den Weg: Die Ausbildungs- und Studienabbrüche müssten reduziert und die Bindung an die Arbeitsbereiche erhöht werden. Auch gingen zu viele Menschen im Übergang verloren. Patenschaftsmodelle, Lotsenprogramme, geregelte Übergänge, Traineemodelle und Onboarding-Ideen könnten ein Weg sein. Es sollten Anreize für eine überregionale Mobilität gegeben werden. Ebenso wären eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten und eine attraktive Entlohnung geboten. Es fehle, so Rauschenbach, eine Kultur der Anerkennung von Abschlüssen Zugewanderter. Dies müsse dringend ausgebaut werden.
Sein Appell: Es brauche dringend ein Aktionsbündnis, das sich der vielen Dilemmata (Bedarf vs. Wachstum; Qualität vs. Quantität; Akzeptanz vs. Wirkung; unqualifiziertes Personal vs. Fachkräfte) annimmt. Das ganze Arbeitsfeld erfährt derzeit einen enormen Rückenwind. Das sollten wir nutzen!
In anschließenden Workshops erörterten die Teilnehmenden verschiedene Aspekte in Bezug auf die Fachkräftesituation in den unterschiedlichen Bereichen, z. B. mit Blick auf die Gesamtstrategie „Fachkräfte für Kita und Ganztag“, im Kinderschutz oder in der Jugend(verbands)arbeit.
Im Abschlusspanel diskutierten, moderiert von Lars Reisner (DBJR), Jana Borkamp (BMFSFJ), Alexander Nöhring (AWO), Matthias Röder (Jugendamt Darmstadt-Dieburg) und Prof. Dr. Rauschenbach über notwendige Maßnahmen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Anknüpfend an den Vortrag von Professor Rauschenbach wurde deutlich, dass es sowohl kurz-, mittel und langfristiger Strategien bedarf, um die Versorgung der Kinder- und Jugendhilfe sicherzustellen. Langfristige Strategien fehlten bisher gänzlich.
Im Folgenden einige weitere Aspekte, die den Teilnehmer*innen mit auf den Weg gegeben wurden:
- Vor dem Hintergrund der Frage, welche Qualifikationen wir mit Blick auf Ganztag und Inklusion brauchen, müssen multiprofessionelle Teams mehr Bedeutung bekommen.
- Fachkräftebindung ist der erste Weg zur Fachkräftegewinnung. Es müssen entsprechende Anreize geschaffen werden.
- Kooperationen mit Fach(hoch)schulen müssen ausgebaut werden.
- Qualifizierung ist in allen Feldern wichtig. Sie braucht Zeit, Ressourcen und Qualität.
- Es braucht eine neue Qualitätsdebatte sowie die Nutzung von Synergieeffekten und eine Anpassung der Kompetenzen. Das System muss effektiver werden!
- Die Digitalisierung muss dringend weiter vorangetrieben werden. Hier werden strukturelle Unterstützung, Austauschplattformen und andere Dialogsysteme gebraucht.
Die Veranstaltung endete mit einem Get-Together, bei dem die Teilnehmenden die Gelegenheit hatten, sich weiter auszutauschen und zu vernetzen.