“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Die digitale Gesellschaft gemeinsam gerecht gestalten

Besucherinnen des 16. Kinder- und Jugendhilfetags beantworten die Online-Umfrage der GEMINI zur jugendgerechten Gestaltung der Gesellschaft
Foto: AdB
6.04. 2017

Fachforum auf dem 16. Kinder- und Jugendhilfetag in Düsseldorf

Der AdB hat gemeinsam mit den in der GEMINI (Gemeinsame Initiative der Träger politischer Jugendbildung) zusammengeschlossenen Trägern während des 16. Kinder- und Jugendhilfetags am 30. März 2017 ein Fachforum zum Thema „Die digitale Gesellschaft gemeinsam gerecht gestalten – Impulse für die politische Jugendbildung und eine jugendgerechte Netzpolitik“ veranstaltet. Die Veranstaltung wurde von Ole Jantschek, Referent für politische Bildung bei der Evangelischen Trägergruppe für politische Jugendbildung verantwortet und moderiert.

 

Die politische Jugendbildung muss jungen Menschen die Option eröffnen, ihre digitale Umwelt aktiv mitzugestalten und nicht nur zu nutzen – so lautete eine zentrale These des Fachforums. Akteurinnen und Akteure berichteten aus der politischen Jugendbildung über konkrete Projekte vor Ort und diskutierten mit Expertinnen und Experten über die aktuellen Herausforderungen, über neues Lernen mit digitalen Medien und über Impulse für eine jugendgerechte Netzpolitik.

 

Ausgangspunkt der Diskussion war eine Umfrage, die die GEMINI unter den Besuchern des Kinder- und Jugendhilfetags zur Nutzung von Medien und zu den Einstellungen zur digitalen Gesellschaft durchgeführt hatte. An der Umfrage nahmen 123 Menschen teil. Die Altersgruppen spiegeln gut die Zusammensetzung der Kongressbesucher/-innen wider: 23 % der Befragten waren im Alter von 18 bis 27 Jahren, knapp 27 % im Alter von 28 bis 36 Jahren, knapp 22 % waren 37 bis 45 Jahre und ca. 29 % über 45 Jahre alt.

 

Deutlich wurde, dass die Chancen und Hoffnungen, die sich mit der Digitalisierung verbinden, überwiegen, auch wenn durchaus Risiken und Ängste benannt werden. Bei einer Skala von 1–10 lag der Mittelwert bei der Frage nach den Chancen und Hoffnungen bei 6.84, bei der Frage nach den Risiken und Ängsten bei 4.55.

 

Zwei Themenkomplexe zogen sich bei der Beantwortung der Frage, was es heißt, die Digitalisierung jugendgerecht zu gestalten, durch fast alle Antworten: Auf der einen Seite Themen des Jugendmedienschutzes (wie z. B. Jugendliche vor Gefahren wie Cyberbullying und Sexting schützen, Zustimmung von 78,5 % der Befragten; Schutz vor Überwachung, 75,2 %) und auf der anderen Seite Themen der Teilhabegerechtigkeit (z. B. offene Bildungsressourcen, 75,6 %; kostenloses Internet für alle, 52 %). Es war den Befragten wichtig, dass Jugendliche informiert und aufgeklärt werden und ihre (kritische) Medienkompetenz gestärkt wird. Es ging aber auch darum, die Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen und zu verändern, wie z. B. mit Blick auf die rechtlichen Bedingungen (Urheberrecht reformieren mit ca. 40 % Zustimmung).

 

Gefragt nach der wichtigsten Aufgabe, für die jugendgerechte Gestaltung der Digitalisierung (offene Frage mit 72 Antworten) wurden zum einen die Jugendlichen in den Blick genommen (über Chancen und Gefahren informieren, über Datenschutz informieren, Aufklären, Medienkompetenz stärken, Jugendliche stärken und Partizipation ermöglichen). Zum anderen wurde auch hier die Gestaltung der Rahmenbedingungen als wichtig benannt (offene Bildungsressourcen, Informationsfreiheit, schaffen rechtlicher Rahmenbedingungen, Fortbildung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren etc.).

 

In den Gesprächen mit den Befragten am Stand der GEMINI wurde deutlich, dass bei vielen eine große Unsicherheit und Ahnungslosigkeit darüber herrscht, welche Veränderungen mit der Digitalisierung einhergehen. Vielen wurde bewusst, dass sie auf Vieles nicht mehr verzichten können. Hier ein paar Ergebnisse: 90 % der Befragten können auf keinen Fall auf Emails verzichten, 87 % auf die Nutzung von Wissensplattformen, 84,3 % auf Suchmaschinen, 67 % auf Navigation/GPS, 58 % auf Instant Messaging, 48 % auf soziale Netzwerke.

 

Gefragt nach den Themen, die die politische Bildung in diesem Kontext unbedingt aufgreifen soll, wurde auf die oben genannten Herausforderungen für die jugendgerechte Gestaltung der Digitalisierung Bezug genommen: Teilhabe(gerechtigkeit), (kritische) Medienkompetenz, Datensicherheit; Gestaltung des Miteinanders und der eigenen Identität im Netz, Umgang mit Fake News, Hate Speech, Cybermobbing, Vermittlung von Werten etc.

 

Als „typisch erwachsen“ bezeichnete Dr. Petra Grell, Professorin für Allgemeine Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik an der Technischen Universität Darmstadt, die Ergebnisse der Umfrage und warnte mit Blick auf Jugendliche davor, die Chancen der digitalen Gesellschaft rein auf der informativen Ebene zu suchen. „Jugendliche nutzen digitale Medien in erster Linie, um einfach mal Quatsch zu machen“, so Petra Grell. Insgesamt fehlten jedoch noch die Kategorien, um die digitale Welt der Jugendlichen zu erfassen. Ziel müsse es sein, dass junge Menschen die digitale Gesellschaft nicht als gegeben wahrnehmen, sondern Lust daran entwickeln, sie nach ihren Bedürfnissen mitzugestalten. Jugendliche bräuchten die Fähigkeit, hinter die Oberfläche ihres Bildschirms zu schauen und zu Gestaltern in der digitalen Gesellschaft zu werden und nicht nur zu Nutzern. Hier komme politische Jugendbildung ins Spiel.

 

Ingo Dachwitz, Redakteur bei netzpolitik.org Berlin, forderte ganz konkret die Weiterentwicklung des Urheberrechtes und einen stringenteren Datenschutz für Minderjährige: „Jugendliche werden mehr und mehr zu Produzenten ihrer digitalen Umwelt. Die gesetzlichen Regelungen, bspw. zum Copyright, gehen jedoch vollkommen an der Alltagsrealität der jungen Menschen vorbei. Hier braucht es eine Anpassung“. Jugendliche produzierten mittlerweile einen gigantischen Datenschatten. Es müsse sichergestellt werden, dass diese Daten nicht kommerziell genutzt würden, so der Redakteur von netzpolitik.org.

 

Sonja Borski (Agentur Jöran & Konsorten, Hamburg) richtete den Blick auf das Thema Medienbildung. Da Bildungsmaterial langfristig konzipiert und produziert würde, könnten bestimmte Phänomene überhaupt gar nicht berücksichtigt werden. „Das führt dazu, dass Medienpädagogen der Technik immer hinterherlaufen“, so Sonja Borski. Gleichzeitig sei eine nachhaltige Bildung wichtiger denn je. Es brauche frei zugängliche Bildungsmaterialien, die nach Bedarf verändert und verbreitet werden können. „Deutschland hat das Thema der Open Education Ressources (OER) komplett verschlafen, während andere Länder sich schon seit Jahren damit befassen. Hier ist eine Politik gefragt, die das Thema in die Breite trägt.“

 

Den Trägern der politischen Bildung ist es gelungen, mit dem Messestand und dem Fachforum viele Interessierte anzusprechen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dafür waren auch verschiedene interaktive Aktionen hilfreich, die am GEMINI-Stand für viel Leben sorgten, wie z. B. ein Actionbound zu den Grundrechten, durchgeführt von Kolleginnen der Evangelischen Akademie der Nordkirche.

 

Mitautorin: Marie Schwinning, Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz