“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Begegnung digital? Was ist möglich?

Beispiele aus der Praxis internationaler Begegnungsarbeit
Europäische und internationale politische Bildung im AdB

Viele Begegnungs- und Fachkräftemaßnahmen, ursprünglich physisch geplant, mussten ad hoc ins Digitale verlegt werden. Das war eine große Herausforderung. Neben den durch Corona bedingten Stornierungen und Verschiebungen, die viele Träger gerade in der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern betrafen, galt es zunächst geeignete Formate zu finden und auszuprobieren, die non-formales, digitalisiertes Bilden und Begegnen ermöglichten. Hier werden zwei Projekte, die noch als physische Begegnungen durchgeführt werden konnten, sowie weitere digitale Formate internationaler Bildungsarbeit vorgestellt.

Deutsch-tschechische Fahrradtour, Foto: Mostar Friedensprojekt e. V.
Deutsch-tschechische Fahrradtour, Foto: Mostar Friedensprojekt e. V.

Mostar Friedensprojekt: Czech-German Summer Tour: Fahrrad- und Zelt-Tour durch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern

Die deutsch-tschechische Fahrradtour machte sich auf die Spuren einer jahrhundertelangen friedlichen Koexistenz. Dabei wurden Orte, die mit der slawischen Kultur und Geschichte auf dem Gebiet Deutschlands verbunden sind, erkundet.

 

Die geschichtlichen Themenkomplexe wurden bewusst niederschwellig gehalten, um bei allen Teilnehmenden das Verständnis zu erleichtern bzw. um Ähnlichkeiten leichter herausarbeiten zu können. Die wechselhafte Vergangenheit der Slawen in Deutschland und in Osteuropa, die nach dem Kommunismus die Nationalstaatlichkeit als Endpunkt dieser Entwicklung sieht, war durch den Besuch realer Orte leichter zu erfassen. Gleichzeitig erfuhren die Teilnehmenden, dass die nationale Identität sich ständig wandelte, da sich nicht nur die Herrscherhäuser durch Kriege und eheliche Verbindungen über die Jahrhunderte abwechselten, sondern auch verschiedene Staaten diese Gebiete beherrschten. Der Begriff Nation änderte sich auch in den Köpfen der Teilnehmenden nach einem Besuch von zwei ehemaligen deutschen Nationalstaaten (Brandenburg/Preußen und Mecklenburg-Strelitz) sowie nach einer Einführung in die junge Geschichte des deutschen Staates.

 

Neben der thematischen Annäherung wurde das Themengebiet auch auf räumliche Weise durch Besuche bedeutungsvoller Orte erkundet, ebenso wurde ein gemeinsamer Erfahrungs- und Erfolgshorizont in Form einer Fahrrad- und Zelttour geschaffen. Ursprünglich geplant als Tour von einem südöstlichen Punkt der Mecklenburgischen Seenplatte über eine Strecke von fast 200 km in das Gebiet von Oldenburg/Holstein mit vorherigen Abstecher nach Dresden, musste coronabedingt eine andere Route genommen werden. Nach Besuchen in Berlin und Brandenburg startete die Fahrradtour in Neustrelitz und führte über eine Strecke von 150 km durch die Landschaften Mecklenburg-Vorpommerns bis nach Usedom.

 

Um das gegenseitige Kennenlernen zu unterstützen, wurden die Teilnehmenden in gemischten Gruppen zu zweit in Zelten untergebracht. Der Zusammenhalt wurde auf verschiedene Weise gestärkt und gefördert. So wurden die Aufgaben des täglichen Bedarfs (Einkaufen, Kochen, Abwaschen, Zelte auf- und abbauen, Fahrradwartung) rotierend in der Gruppe verteilt. Alle waren aufgefordert, einmal während des Ausfluges zu kochen, wobei es den Teilnehmenden selbst überlassen wurde, was sie kochen. Den Berichten zufolge überboten sich die Teilnehmenden teilweise an Leistung und ermöglichten, dass die anstrengenden Tagestouren glücklich, bei geselligem Beisammensein abgeschlossen werden konnten. Durch das gemeinsame Fahrradfahren und insbesondere dadurch, dass sich die Gruppe bei Problemen mit den Fahrrädern selbst helfen konnte, wuchs der Zusammenhalt noch mehr.

 

Alle Etappen waren mit Lernzielen versehen, die durch Vor-Ort-Besichtigungen mit Erklärungen, durch Begegnungen oder durch Suchspiele realisiert wurden. Am letzten Tag auf Usedom konnten die Teilnehmenden frei über ihre Zeit verfügen, was sie zu einem selbst organisierten Ausflug nach Swinemünde/Polen veranlasste.

 

Sowohl auf Seiten von Mostar Friedensprojekt und seinem tschechischen Partner, als auch auf Seiten der Teilnehmenden war der Austausch ein großer Erfolg. Zu verdanken war das dem guten Zusammenhalt der Gruppe und dem Mitentscheidungsrecht der Teilnehmenden am Programmverlauf. Der nachhaltige Eindruck der Begegnung zeigt sich nicht nur daran, dass eine tschechische Teilnehmerin ein Praktikum bei Mostar Friedensprojekt im Sommer 2021 plant, sondern, dass deutsche Teilnehmende im gleichen Sommer ihre tschechischen Mitradelnde besuchten und umgekehrt.

 

"I took part in the Czech – German Exchange in July 2020. It was an extraordinary trip because we spent it all on bikes. We biked from Berlin to an island in the North of Germany called Usedom. This exchange was a totally new experience for me, I had never biked or slept in a tent for so long before, but I really enjoyed it. The people there, not only Czechs and Germans but also for example Indonesians or Ukrainians, were really friendly and fun to be around. We did everything ourselves – cooking, cleaning, building tents, but it worked out perfectly because everybody wanted to participate. We also visited some historical sites and learned about the Czech imprint on the German past. And even though I‘m no sporty person, I managed to complete all the routes because the people around me were super supportive. I made some great friends at this exchange and I‘m glad I got to be a part of it!"

Erfahrungsbericht der tschechischen Teilnehmerin Anna Sochorová

 

ABC Hüll: Filmmaking as a tool for civic education 13.–18.10.2020 – Filmworkshop unter Hygienebedingungen

Die Kooperation des ABC Bildungs- und Tagungszentrum e. V. und des Kwetu Film Institutes aus Kigali/Ruanda ist eine über mehrere Jahre gewachsene Zusammenarbeit. Als sich im Herbst 2020 abzeichnete, dass Ruanda eines der wenigen Länder weltweit war, für welches keine Reisewarnung bestand, gelang es mit Unterstützung des BVA und des Auswärtigen Amtes, Visa für die Teilnehmenden der Partnerorganisation zu bekommen.

 

Thematisch beschäftigten sich die Kooperationspartner mit filmgestütztem politischem Bilden und der Film-Produktion als Ansatz politischer Bildung. Das Anliegen war, die in der Gruppe vorhandenen unterschiedlichen Fähigkeiten, durch kreative Prozesse zu hinterfragen und Diversitäten sichtbar zu machen.

 

"Während der Durchführung der Veranstaltung haben wir festgestellt, dass sich die Hygienemaßnahmen, die wir aufgrund der Pandemie ergreifen mussten, auf die Gruppe der Menschen ebenso ausgewirkt haben wie auf die Arbeit, die wir gemeinsam geleistet haben. Wir haben feststellen können, dass die Arbeit in einer heterogenen Gruppe, in der die verschiedenen Teilnehmer über unterschiedliche sprachliche Ressourcen verfügen und mehr oder weniger Erfahrung mit diskursiver Arbeit haben, eine Herausforderung war. Und wir haben uns dafür entschieden, in der Gruppe transparent über das Thema zu sprechen, und wir haben deutlich gemacht, dass es unser Ziel ist, einen gemeinsamen Prozess zu gestalten, und deshalb werden wir die Ziele des Prozesses an die Zeiten und Kapazitäten jedes einzelnen Teilnehmers anpassen."

 

Digitale Maßnahmen und hybride Begegnungen

Begegnungs- und Fachkräftemaßnahmen im Rahmen bestehender Konzeptionen und Förderungen ins digitale zu drehen, stellte sich als eine Haupt-Herausforderung im laufenden Jahr dar. Neben den durch Corona bedingten Stornierungen und Verschiebungen, die viele Träger gerade in der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern betrafen (unterschiedliche zeitliche Lockdowns, unterschiedliche Arbeitsmodelle, unterschiedliche Reisemöglichkeiten von Teilnehmenden etc.) galt es zunächst, geeignete Formate zu finden und auszuprobieren, die non-formales digitalisiertes Bilden und Begegnen ermöglichten. Seitens der Zentralstelle sei angemerkt, dass es eine enorme Leistung einiger Träger ist, trotz widrigster Umstände adäquate und funktionierende Lösungen gefunden zu haben, die trotz schwierigster physischer und finanzieller Herausforderungen, Begegnung in der Praxis ermöglichten. Zwei werden hier kurz vorgestellt:

 

naturkultur e. V. – Seminare "digital competences in non-formal education" und "crisis management in youth work"

Hier ging es um ein multilaterales Seminar, das zum Ziel hatte, gemeinsam mit Fachkräften aus neun Ländern zum Thema "Digitale Kompetenzen in der non-formalen Bildung" zu arbeiten. Das ursprünglich physisch konzipierte Seminar wurde auf digital umgestellt, wobei die Dauer von ursprünglich wenigen Tagen auf zwei Wochen digitale Aktivitäten im Zwei-Tages-Rhythmus gestreckt wurden. Mit dem Inhalt des Trainings konnte zugleich ein durch Corona befeuerter, gewachsener Bedarf der europäischen Partner, sich ad hoc zu Fragen digitaler Bildung auszutauschen und weiterzubilden, bearbeitet werden. Die europäische Jugendarbeit steckt mitten im Prozess der digitalen Transformation. Politischer Bildung kommt hierbei eine zentrale Aufgabe zu, die verschiedenen gesellschaftspolitischen, rechtlichen und praktischen Dimensionen auszuarbeiten und diese im Kontext europäischer Qualifizierungsprogramme zum Thema und Gegenstand zu machen.

 

Dem Umgang mit Krisenerfahrungen widmete sich das 6-tägige multilaterale Seminar "crisis management in youth work" in welchem verschiedenste Aspekte von Krisenerfahrung in Jugendarbeit aufgegriffen und konkrete Bearbeitungsszenarien entwickelt wurden. Ausgehend von den unterschiedlichen Covid-19-Erfahrungen der Teilnehmenden in Bezug auf strukturelle, finanzielle, pädagogische Konsequenzen vor unterschiedlichsten lokalen Gegebenheiten, wurde mit dem Seminar ein wichtiges Forum zum Erfahrungsaustausch und kollegialer Beratung im Kontext europäischer Begegnungsprojekte angeboten.

 

GSI Bad Bevensen – Seminarserie "The grapes of wrath. Racism and the crisis of democracy … "

Die deutsch-amerikanische Begegnung wurde auf ein insgesamt 8-tägiges digitales Seminar umkonzipiert. Der Schwerpunkt Rassismus und die Bearbeitung unterschiedlicher Exlusionsmechanismen sowie historischer Bezugsrahmen von Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen griffen hochaktuelle Themen auf, die mit dem digitalen Bildungsformat gut zusammengingen.

 

Die Corona-Pandemie ist eine weltweite zeitgleiche und ortsunabhängige Zäsur, die dieLebenswelt aller Menschen vor zeitgeschichtlich bislang ungekannte Herausforderungen stellt. Die Pandemie kann und darf daher nicht Grund sein, die eminent wichtige und solidarischen Erfahrung von Austausch und Begegnung zu beeinträchtigen. Gerade die Kolleg*innen in Ländern mit einer gut aufgestellten Struktur sollten sich dessen bewusst sein, dass diese guten Bedingungen auch zum Handeln verpflichten.

 

Mit den beschriebenen digitalisierten Begegnungsformen oder den kreativ angegangenen analogen Umplanungen stellte sich einmal mehr heraus, dass mit einer flexiblen Handhabung Praxis angeregt und unterstützt werden kann, Formate neu zu denken, zu entwickeln und diese beispielhaft durchzuführen. Gerade im Kontext der KJP Längerfristigen Förderung internationaler Arbeit konnten hier wertvolle Erfahrungen gemacht werden. Es zeichnet sich ab, dass internationale Jugendarbeit auch in vermeintlich post-pandemischen Zeiten nicht zum business as usual zurückkehren wird und auch die fortschreitende Digitalisierung der Bildungsarbeit dementsprechend für das Aufkommen neuer Formate der Begegnung und veränderter Erfahrungen von Mobilität sorgt. Dementsprechend muss künftig Förderung wie auch Bildungspraxis diese Formate entwickeln und als Teil der Arbeit aufgreifen.

 

"In Zeiten wie der Corona-Pandemie halte ich es für absolut wichtig, dass Online-Formate wie dieses gefördert werden. Wichtig ist es, dafür die Förderbedingungen zu flexibilisieren. Teilweise ist dies bereits umgesetzt worden: Beispielsweise muss der zeitliche Umfang des Programms dem Online-Format angepasst werden. Es ist wichtig, dass dabei die Förderlogik nicht mehr vom Gedanken an Programm mit Unterkunft und Verpflegung geknüpft ist. Andererseits entstehen deutlich höhere Kosten für Personal und technical support. Letzteres konnte bereits kurzfristig gefördert werden. Es wäre allerdings sehr wichtig, wenn für zukünftige Online-Programme auch anteilige Personalkostenförderung (ohne vorherige Aufnahme in einen Stellenförderplan) möglich wäre."

O-Ton eines Sachberichts