“Demokratie
braucht
politische Bildung”

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Learning (the) Digital

Abschlusspanel mit Reinhard Grübl, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit; Ina Bielenberg, Geschäftsführerin des AdB; Andreas Kalina, Akademie für Politische Bildung; Nadine Hamacher, Karl-Arnold-Stiftung; Matthias Fack, Präsident des Bayerischen Jugendrings (v.li.n.re.).
Foto: Akademie für Politische Bildung, Tutzing
9.05. 2023

Fachkonferenz des AdB und der Akademie für politische Bildung in Tutzing

Am 28. und 29. April 2023 haben der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten und die Akademie für Politische Bildung die Fachkonferenz „Learning (the) digital – politische Bildung in der digitalen Transformation“ in Tutzing durchgeführt. Mit über 40 Teilnehmenden aus einem breiten Feld von Forschung, Wissenschaft, Digitalen Aktivist*innen, Firmen, Verbraucherschutz, aus den verschiedenen Fachfeldern politischer Bildung sowie aus Ministerien, bundes- und Landeszentralen für politische Bildung war die Veranstaltung hochinterdisziplinär und gut besucht.

 

Die Idee zum Abschluss des AdB-Erasmus+ Projekts „DIGIT-AL – Digital Transformation and Adult Learning for Active Citizenship“ eine interdisziplinäre Fachveranstaltung zum sozialen Phänomen des digitalen Wandels für den deutschen Kontext aufzusetzen, hatten der AdB und die Akademie für Politische Bildung bereits seit geraumer Zeit verfolgt, nun konnte sie endlich realisiert werden.

 

Die Tagung wendete sich bewusst an ein breites Spektrum der im digitalen Wandel und politischer Bildung tätigen Organisationen. Ziel war es zum einen, einen professionsübergreifenden Diskurs anzuregen und zu führen, der dabei unterstützt, digitalen Wandel als ein über die rein medienpädagogische Bearbeitung hinausgehendes soziales Phänomen zu begreifen. Zum anderen war es das Ziel, ein Angebot zu machen, die Aktionsfelder politischer Bildung und die Praktiken digitalen Wandels und zivilgesellschaftlicher digitaler Akteure und Forscher*innen einander näher zu bringen und zu vernetzen.

 

Einstieg in das komplexe Thema

 

Nach einleitenden Worten von Dr. Andreas Kalina, Akademie für Politische Bildung, und Ina Bielenberg, Geschäftsführerin des AdB, diskutierte das von Nils-Eyk Zimmermann, AdB, moderierte Eröffnungspanel über „Digitale Kompetenzen als Befähigung für digitale Souveränität und nachhaltige demokratische Zukunft“. Dr. Gergana Vladova, Leiterin der Forschungsgruppe „Bildung für die digitale Welt“ im Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft, führte in ihre Forschung zu transformativen Kompetenzen an der Schnittstelle zwischen digitalen Kompetenzen und Nachhaltigkeit ein und Dr. Saniye Al-Baghdadi, Koordinatorin des „dialog digitalisierung“ des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e. V., gab einen Einblick in den Stand der Debatten und Forschung zu den digitalen Kompetenzen in Bezug auf die Profession Bildner*innen der Erwachsenenbildung.

 

Professorin Dr. Monika Oberle, Georg-August-Universität Göttingen, Professorin Dr. Mandy Schiefner-Rohs, Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau, und Georg Pirker, Referent für Europäische und internationale politische Bildung im AdB, diskutierten mit den Anwesenden die „Neuausrichtung der politischen Bildung in der digitalen Ära: Herausforderungen, Ansätze, Chancen.“ Am Beispiel der Medienpädagogik zeigte Monika Oberle auf, dass unter den Bedingungen der Transformation immer mehr das Vermitteln der metastrukturellen Bedingungen von Medien zum Kern des politischen Bildungsauftrags gehöre – medienpolitische Rahmensetzungen, Veränderung der Mediendemokratie, ihrer Formen, Funktionen und (Geschäfts-)Modelle (vgl. dazu auch ihren Beitrag „Medienkompetenz als Herausforderung für die politische Bildung“). Mandy Schiefner-Rohs betonte, dass in den Debatten über digitale Kompetenz die pädagogische Komponente zentral sei – digitale Kompetenz diene der Befähigung, sie ziele nicht primär darauf ab, den Umgang mit digitalen Tools zu lernen. Hierzu gehören technologisch-mediale, gesellschaftlich-mediale Perspektiven, die Organisationsperspektive, wenn es um Entscheidungen für den Einsatz datengetriebener Technologie im Bildungsraum geht oder die Interaktionsperspektive im Hinblick auf die Wirkung digital mediatisierter Kommunikation (vgl. dazu auch ihr Editorial: Datengetriebene Schule).

 

Wenn ein Kennzeichen der digitalen Transformation die Ausweitung mediatisierter Kommunikation ist, so gilt das auch für viele andere gesellschaftliche Bereiche, die nicht im Fokus von Medienpädagogik liegen. Arbeitswelt, zivilgesellschaftliche Selbstorganisation und Partizipation oder Umwelt. Georg Pirker erweiterte die Perspektive und setzte einen besonderen Fokus auf die demokratische Komponente in der digitalen Transformation, die Demokratie- und Menschenrechtsbildung in den Fokus nehmen müsse. Lernen über die digitale Transformation, für eine demokratische digitale Transformation und durch das Digitale (vgl. Learning the Digital Lifelong und die Ergebnisse des Projekts DIGIT-AL).

 

PD Dr. Markus Deimann, Ko-Moderator des Podcast „Feierabendbier Open Education“, lud zum Abendgespräch über Open Education und offene Bildungsmaterialien. Tim Schrock und Alina Jugenheimer, AdB, moderierten die anregende Diskussion.

 

Im Zeichen der Praxis

 

Der zweite Konferenztag stand im Zeichen der Praxis. Anhand der Frage nach dem Zugang zu offenen Daten, zu offener Hardware oder dem Thema Kompetenzerwerb und digitale Anwendungen (game based learning, virtual realities) konnten die Teilnehmer*innen in verschiedenen Workshops mit Praktiker*innen aus der digitalen Aktivisten- und Entwicklerszene aktuelle Ansätze kennenlernen und hands-on Erfahrungen über deren Einsatz im Bildungsbereich machen.

 

Stefan Kaufmann von Wikimedia Deutschland e. V. gab einen Einblick in öffentliche Daten und Datenprojekte: Zusammenarbeit und Anknüpfungspunkte für Zivilgesellschaft und Bildung. Hier ist die öffentliche Hand gefordert, Daten selbstverständlich bereitzustellen und ihre Aufbereitung für Bürger*innen mehr zu unterstützen. Für die politische Bildung eröffnet sich im Umgang mit Daten und Datenanalyse ein großes Potenzial (Vermittlung von Datenkompetenz, Zugang zu echten Daten über gesellschaftspolitisch-relevante Entwicklungen, …) insbesondere in der Kooperation mit Expert*innen aus der Zivilgesellschaft oder Journalist*innenausbildung (vgl. dazu den Böll-Brief: Daten als öffentliche Infrastruktur).

 

„Digital Game-based learning: Komplexe Problemlösungen in Politik und Gesellschaft entwickeln und zielführend simulieren“ – unter diesem Titel präsentierte Thomas Schutz vom Zentrum für Studiengangsentwicklung, Aus- und Weiterbildungsforschung der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB) seine Arbeit (vgl. https://lerndichgluecklich.de).

 

Maximilian Voigt von der Open Knowledge Foundation e. V. setzte einen Fokus auf offene Hardware. Der informierte und selbstbestimmte Umgang mit Hardware ist als Teilaspekt digitaler Kompetenz zentral. Über die kompetente Nutzung geschlossener Systeme hinaus müsse die Aneignung von Hardware gerade in den Fokus auch von politischer Bildung rücken. Denn die Stärkung von Transparenz, Reproduzierbarkeit, Transformierbarkeit, sowie auch Reparierbarkeit als Kernaspekte offener Hardware sind politische Fragen, worauf der Titel seines Beitrags auch abhebt: „Hardware, offen und nachhaltig, fair?“ (vgl. Unboxing Black-boxes).

 

Dr. Robert Lohmann, Produktmanager bei der imc information multimedia communication AG, führte in Virtual Reality und weitere Digitalisate in der politischen Bildung ein.

 

In Diskurslabs erörterten die Teilnehmer*innen die Themen Inklusion und Teilhabe, die Rolle der EU im Kontext einer demokratischen Governance der Digitalisierung und den Stand der Dinge und potenziellen Einsatz von KI und learning analytics in Formaten politischer Bildung.

  • Inklusiv – mitgedacht? Barrierefreies Lernen im Digitalen wurde von Iris Cornelssen, Projektleiterin Qualifizierung bei Aktion Mensch e. V. bestritten.
  • Dr. Clara Schumacher führte in Learning Analytics und KI in der (Erwachsenen-)Bildung ein und beschrieb Herausforderungen, Anwendungsfälle, Szenarien, stärker aus der Hochschulbildung. Sie forscht am Institut für Informatik – Didaktik der Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin.
  • Nils-Eyk Zimmermann gab einen Überblick über aktuelle digitalpolitische Entwicklungen in der EU. Aktuell verhandelte Vorhaben wie der AI-Act oder „Chatkontrolle“ sowie die bald in Kraft tretenden Digital Market Act/Digital Services Act werden das europäische Internet verändern und werden somit zu relevanten Themen der politischen Bildung in den Ländern der EU. Auch in der Bildungspolitik werden Akzente gesetzt, zu denen sich die Akteurslandschaft der Erwachsenenbildung und der politischen Bildung in Deutschland verhalten müsse: Bildungsplattformen, Micro-Credentials oder Individuelle Lernkonten.

 

Alle Hausaufgaben gemacht?

 

Am Abschlusspanel wurde deutlich: Wir stehen – obwohl bereits viel getan wird – immer noch am Anfang: Ina Bielenberg erläuterte die Vielschichtigkeit an Herausforderungen, die Digitalisierung als umfassendes soziales, technisches und politisches Phänomen für Bearbeitungsprozesse in der politischen Bildung stellt und zwar nicht irgendwann, sondern bereits jetzt. Während Reinhard Grübl, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, die Wichtigkeit einer dezidierten Vermittlung von Werten im Digitalen Raum forderte. „Wir graben noch nicht mal nach Wasser, sondern suchen, wo überhaupt welches ist“, war sich Matthias Fack, Präsident des Bayerischen Jugendrings, sicher: In den Jugendverbänden wisse man bereits hinlänglich wie digitales Lernen funktioniert. Eine Aussage, die Nadine Hamacher von der Karl-Arnold-Stiftung zumindest als vom Ansatz her interessant fand. Als Praktikerin politischer Erwachsenenbildung, die insbesondere die aufsuchende und ressourcenorientierte digitale politische Bildung forciert, um mehr Menschen zum Lernen über Digitalisierung und in der politischen Bildung zu erreichen, konnte sie berichten, wie sich die Vermittlung eines komplexen Themas mit hohem gesellschaftspolitischen Abstraktionsgrad gestalten lässt.

 

Von den Teilnehmenden wurde die Wichtigkeit des interdisziplinären Ansatzes, den der AdB und die Akademie für Politische Bildung gewählt hatten, geteilt. Man konnte außerhalb seiner eigenen professionellen Bubble offen und interessiert diskutieren, Erfahrungen austauschen und vor allem neue Kontakte zu Akteur*innen, Organisationen und Trägern knüpfen, die hoffentlich alle beteiligten Felder zu einem besseren gemeinsamen Bearbeiten der Herausforderung Digitalität befähigen.