“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken

Das AdB-Modellprojekt zur Weiterentwicklung politischer Bildung in einer pluralen Gesellschaft
AdB-Projekte in Bundesprogrammen

Welche Veränderungen bedarf es bei Organisationen der non-formalen Bildung, um einer heterogenen Gesellschaft gerecht zu werden? Seit über zwei Jahren führt der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) das Projekt „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken“ durch. Das Projekt wird von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb gefördert (September 2019 – Dezember 2022) und setzt sich mit Diversifizierungsstrategien im Verband und in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung auseinander.

Symbolbild
Foto: brewbooks/Lizenz: cc by-sa 2.0

Hintergrund zum Projektnamen und den Zielen

 

Der Projektname Polyphon! bedeutet nicht nur Vielstimmigkeit, sondern in Anlehnung an den Literaturwissenschaftler Michail Bachtin auch, dass die (Roman-)Geschichte nicht von einem dominanten Erzähler geprägt ist, sondern gerade durch einen Dialog verschiedener Stimmen und Perspektiven entsteht. Polyphon! steht damit auch symbolhaft für die Projektausrichtung und das Ziel des AdB: Der Verband möchte in Bezug auf migrantische und nicht-weiße Organisationen und Akteur*innen vielfältiger werden und zur Stärkung einer heterogeneren Bildungslandschaft beitragen. Wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen gibt es nicht nur im Verband, sondern in der politischen Bildung insgesamt ein Repräsentationsdefizit was z. B. politische Bildner*innen of Color oder die Förderung von migrantischen und nicht-weißen Bildungsorganisationen betrifft. Für den AdB ist die Auseinandersetzung mit Diversifizierungsstrategien – und das gerade nicht nur in Bezug auf Zielgruppen – letztendlich auch eine Antwort auf Teilhabegerechtigkeit und eine Demokratisierung der Strukturen politischer Bildung.

 

Pluralität und Demokratisierungsprozesse

 

Trotz der anhaltenden Covid-19-Pandemie konnte das Polyphon-Projekt auch in 2021 zahlreiche und äußerst nachgefragte Veranstaltungsformate umsetzen und damit zu einer Weiterentwicklung des Fachdiskurses einer diskriminierungskritischen politischen Jugend- und Erwachsenbildung beitragen. Um nachhaltig etwas zu bewirken, setzt das Projekt seinen Fokus nicht nur auf strukturelle Veränderungsprozesse, sondern beschäftigte sich auch mit der (fehlenden) Diversität in der Geschichte der non-formalen politischen Bildung. So konnte Professorin Dr. María do Mar Castro Varela (Alice Salomon Hochschule Berlin), die auch Mitglied im Projektbeirat ist, für einen Vortrag am 17. März 2021 im Rahmen einer Sitzung der AdB-Kommission Erwachsenenbildung gewonnen werden. In ihrem Input mit dem Titel „Die demokratische Erziehung Deutschlands. Von der Reeducation zur politischen Erwachsenenbildung“ ging es aus einer historischen Perspektive um die Relevanz und den Wert von gesellschaftlicher Diversität in Lernräumen der Erwachsenenbildung nach 1945. Dass die Notwendigkeit eines Projektes wie Polyphon! im Jahr 2021 bestehe, so die Referentin, zeige, dass hier in der Vergangenheit noch zu wenig Schritte gegangen wurden und es noch großer Veränderungen bedarf, damit heterogene Lehr- und Lernräume die Normalität und nicht die Ausnahme darstellen.

 

Veränderungsprozesse in der eigenen Organisation anstoßen

 

Aber wie können sich nun Bildungsorganisationen verändern, um einer heterogenen Gesellschaft gerecht zu werden? Das Projekt greift diese Frage zwar bei fast allen seinen Veranstaltungen auf, aber ein besonderer Schwerpunkt wurde hier bei einer Online-Veranstaltung auf dem digitalen Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (DJHT) mit dem Titel „Chancengleichheit erhöhen – Rassismuskritische Öffnungsprozesse in Bildungseinrichtungen gestalten“ gelegt. Der Workshop umfasste u. a. einen Input der Organisationsentwicklerin Miriam Siré Camara zu rassismuskritischen Öffnungsprozessen von Bildungsinstitutionen und zur Frage, wie hier gelungene Indikatoren aussehen können. Des Weiteren gab es einen Kurzimpuls von Roland Wylezol, Leiter der Berliner Jugendbildungsstätte Kaubstraße und AdB-Vorstandsmitglied, zu den Stolpersteinen und Chancen eines rassismuskritischen Veränderungsprozesses. Aus einer Organisationentwicklungsperspektive ist die Jugendbildungsstätte Kaubstraße eine der wenigen Einrichtungen der außerschulischen Bildung, die sich bisher erfolgreich strukturellen und messbaren Veränderungen in ihrer Einrichtung gewidmet hat. So spiegeln z. B. die Diversität des pädagogischen Personals, die Teilnehmenden, das Programm und die zahlreichen Kooperationspartnerschaften mit migrantischen und nicht-weißen Akteur*innen und Organisationen, dass hier heterogene Lehr- und Lernräume überwiegend Normalität sind.

 

Antirassismusarbeit als Herausforderung

 

Das Projekt Polyphon! bietet immer wieder Weiterbildungsangebote für politische Bildner*innen zum Themenbereich Rassismus an. Am 14./15. Juni 2021 fand beispielsweise die Fortbildung zum Thema „Anti-Schwarzer Rassismus. Deutsche Kolonialgeschichte, Kolonialrassismus und deren Einfluss auf die Gegenwart“ statt. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit zwei nicht-weißen Bildungsorganisationen und den namenhaften Referent*innen, Saraya Gomis von EACH ONE TEACH ONE e. V. und Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland e. V., durchgeführt. Die Teilnehmenden setzten sich dabei u. a. mit folgenden Fragen auseinander: Was ist Anti-Schwarzer Rassismus? Welche tiefgreifenden Auswirkungen hat die deutsche Kolonialgeschichte auf die Gegenwart? Wie kann eine rassismuskritische Bildungspraxis aussehen? Was bedeutet eine historisch-politische Bildung in einer vielfältigen Migrationsgesellschaft? Und wie können wir als politische Bildner*innen mit und ohne Rassismuserfahrung zu antirassistischen Themen arbeiten? Eine Herausforderung, welche einige der teilnehmenden Bildner*innen benannten, ist die Arbeit mit Gruppen, die sich beim Thema Rassismus schnell angegriffen fühlten. Saraya Gomis, die auch als Antidiskriminierungsbeauftragte im Berliner Senat arbeitete, verwies dabei auf die psychologischen Stufenmodelle des Lernens: Irritationen seien generell ein wichtiger Teil des Lernprozesses. Workshops zu so komplexen Themen funktionieren oftmals nicht ohne Irritation. In der Fortbildung wurde damit nochmals deutlich, wie herausfordernd die rassismuskritische Arbeit als politische*r Bildner*in sein kann.

Symbolbild
Foto: AdB

Wahrnehmung – Haltung – Handlung

 

Da die rassismuskritische Auseinandersetzung immer mit einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst beginnt, organisierte die Projektleitung Narmada Saraswati am 14. Oktober 2021 einen Workshop für das Team der AdB-Geschäftsstelle. Wahrnehmung und Innehalten sind Grundvoraussetzungen für eine diskriminierungskritische (Bildungs-)Arbeit – so die Referentin des Workshops Katja Kinder, Geschäftsführerin der RAA Berlin. Häufig werden diese so elementaren (selbst-)reflexiven Schritte aber mit dem Bedürfnis nach sofortigen konkreten Handlungsempfehlungen für eine diskriminierungsfreiere Praxis übergangen. Durch diese schnelle Reaktion fehlt jedoch Zeit, um eigene Arbeitssituationen und Entscheidungen zu beobachten, zu reflektieren und Strukturen und Herrschaftsmuster zu erkennen, die zu Diskriminierungen führen können. Das Innehalten ermöglicht es, viel eher zu realisieren, dass etwas nicht in Ordnung ist.

 

Die AdB-Geschäftsstelle möchte den Weg zu einer diskriminierungskritischen Organisation weitergehen: Unser Handeln als Verband der non-formalen politischen Bildung kann nur professionell sein, wenn es rassismus- und diskriminierungskritisch ist, so die Mitarbeitenden. Unser Auftrag ist es, nicht nur einen Ausschnitt, sondern die gesamte Gesellschaft mit Bildungsangeboten zu erreichen. Wichtig dabei ist, dass nicht die Menschen mit Rassismus- oder anderen Marginalisierungserfahrungen sich anpassen müssen. Vielmehr müssen sich die Institutionen anpassen, ihre Strukturen verändern und ihre Bildungsinhalte multiperspektivisch gestalten.

Workshop für das Team der AdB-Geschäftsstelle
Workshop für das Team der AdB-Geschäftsstelle, Foto: AdB

Neues AdB-Forum für politische Bildner*innen of Color

 

Auf Initiative des Projektes „Polyphon“ wird ab 2022 ein Raum für kollegiale Austausch- und Vernetzungsmöglichkeiten für BIPoC*, Sinti*zze und Rom*nja-Bildungsreferent*innen aus den AdB-Mitgliedseinrichtungen entstehen. Dieses neue Forum soll zu einem festen und im AdB-Haushalt verankerten Bestandteil der Verbandsarbeit werden und wird als ein weiterer wichtiger Baustein im diversitätsorientierten Verbandsentwicklungsprozess angesehen, um gesellschaftliche Vielfalt in der politischen Bildung und im AdB zu stärken.

 

Zwischenbilanz: Rückblick auf Erreichtes

 

Da das Projekt in 2022 endet, wurde dies zum Anlass für eine vorläufige Zwischenbilanz im begleitenden Fachbeirat genommen. Der Beirat besteht aus namenhaften Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis wie z. B. Professorin Dr. María do Mar Castro Varela (Alice Salomon Hochschule Berlin), Professor Dr. Karim Fereidooni (Ruhr-Universität Bochum) und Peggy Piesche (Bundeszentrale für politische Bildung). Die Liste der Beiratsmitglieder finden Sie hier. Die Beiratsmitglieder sind vom Projektverlauf und den Ergebnissen beeindruckt. Trotz der COVID-19-Pandemie und des sehr herausfordernden Themas wurde durch die Projektleitung Narmada Saraswati äußerst viel an diversitätsorientierten Veränderungsprozessen auf den unterschiedlichen Verbandsebenen angestoßen.