Hintergrund zum Projektnamen und den Zielen
Der Projektname Polyphon! bedeutet nicht nur Vielstimmigkeit, sondern in Anlehnung an den Literaturwissenschaftler Michail Bachtin auch, dass die (Roman-)Geschichte nicht von einem dominanten Erzähler geprägt ist, sondern gerade durch einen Dialog verschiedener Stimmen und Perspektiven entsteht. Polyphon! steht damit auch symbolhaft für die Projektausrichtung und das Ziel des AdB: Der Verband möchte in Bezug auf migrantische und nicht-weiße Organisationen und Akteur*innen vielfältiger werden und zur Stärkung einer heterogeneren Bildungslandschaft beitragen. Wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen gibt es nicht nur im Verband, sondern in der politischen Bildung insgesamt ein Repräsentationsdefizit was z. B. politische Bildner*innen of Color oder die Förderung von migrantischen und nicht-weißen Bildungsorganisationen betrifft. Für den AdB ist die Auseinandersetzung mit Diversifizierungsstrategien – und das gerade nicht nur in Bezug auf Zielgruppen – letztendlich auch eine Antwort auf Teilhabegerechtigkeit und eine Demokratisierung der Strukturen politischer Bildung.
Pluralität und Demokratisierungsprozesse
Trotz der anhaltenden Covid-19-Pandemie konnte das Polyphon-Projekt auch in 2021 zahlreiche und äußerst nachgefragte Veranstaltungsformate umsetzen und damit zu einer Weiterentwicklung des Fachdiskurses einer diskriminierungskritischen politischen Jugend- und Erwachsenbildung beitragen. Um nachhaltig etwas zu bewirken, setzt das Projekt seinen Fokus nicht nur auf strukturelle Veränderungsprozesse, sondern beschäftigte sich auch mit der (fehlenden) Diversität in der Geschichte der non-formalen politischen Bildung. So konnte Professorin Dr. María do Mar Castro Varela (Alice Salomon Hochschule Berlin), die auch Mitglied im Projektbeirat ist, für einen Vortrag am 17. März 2021 im Rahmen einer Sitzung der AdB-Kommission Erwachsenenbildung gewonnen werden. In ihrem Input mit dem Titel „Die demokratische Erziehung Deutschlands. Von der Reeducation zur politischen Erwachsenenbildung“ ging es aus einer historischen Perspektive um die Relevanz und den Wert von gesellschaftlicher Diversität in Lernräumen der Erwachsenenbildung nach 1945. Dass die Notwendigkeit eines Projektes wie Polyphon! im Jahr 2021 bestehe, so die Referentin, zeige, dass hier in der Vergangenheit noch zu wenig Schritte gegangen wurden und es noch großer Veränderungen bedarf, damit heterogene Lehr- und Lernräume die Normalität und nicht die Ausnahme darstellen.
Veränderungsprozesse in der eigenen Organisation anstoßen
Aber wie können sich nun Bildungsorganisationen verändern, um einer heterogenen Gesellschaft gerecht zu werden? Das Projekt greift diese Frage zwar bei fast allen seinen Veranstaltungen auf, aber ein besonderer Schwerpunkt wurde hier bei einer Online-Veranstaltung auf dem digitalen Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (DJHT) mit dem Titel „Chancengleichheit erhöhen – Rassismuskritische Öffnungsprozesse in Bildungseinrichtungen gestalten“ gelegt. Der Workshop umfasste u. a. einen Input der Organisationsentwicklerin Miriam Siré Camara zu rassismuskritischen Öffnungsprozessen von Bildungsinstitutionen und zur Frage, wie hier gelungene Indikatoren aussehen können. Des Weiteren gab es einen Kurzimpuls von Roland Wylezol, Leiter der Berliner Jugendbildungsstätte Kaubstraße und AdB-Vorstandsmitglied, zu den Stolpersteinen und Chancen eines rassismuskritischen Veränderungsprozesses. Aus einer Organisationentwicklungsperspektive ist die Jugendbildungsstätte Kaubstraße eine der wenigen Einrichtungen der außerschulischen Bildung, die sich bisher erfolgreich strukturellen und messbaren Veränderungen in ihrer Einrichtung gewidmet hat. So spiegeln z. B. die Diversität des pädagogischen Personals, die Teilnehmenden, das Programm und die zahlreichen Kooperationspartnerschaften mit migrantischen und nicht-weißen Akteur*innen und Organisationen, dass hier heterogene Lehr- und Lernräume überwiegend Normalität sind.
Antirassismusarbeit als Herausforderung
Das Projekt Polyphon! bietet immer wieder Weiterbildungsangebote für politische Bildner*innen zum Themenbereich Rassismus an. Am 14./15. Juni 2021 fand beispielsweise die Fortbildung zum Thema „Anti-Schwarzer Rassismus. Deutsche Kolonialgeschichte, Kolonialrassismus und deren Einfluss auf die Gegenwart“ statt. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit zwei nicht-weißen Bildungsorganisationen und den namenhaften Referent*innen, Saraya Gomis von EACH ONE TEACH ONE e. V. und Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland e. V., durchgeführt. Die Teilnehmenden setzten sich dabei u. a. mit folgenden Fragen auseinander: Was ist Anti-Schwarzer Rassismus? Welche tiefgreifenden Auswirkungen hat die deutsche Kolonialgeschichte auf die Gegenwart? Wie kann eine rassismuskritische Bildungspraxis aussehen? Was bedeutet eine historisch-politische Bildung in einer vielfältigen Migrationsgesellschaft? Und wie können wir als politische Bildner*innen mit und ohne Rassismuserfahrung zu antirassistischen Themen arbeiten? Eine Herausforderung, welche einige der teilnehmenden Bildner*innen benannten, ist die Arbeit mit Gruppen, die sich beim Thema Rassismus schnell angegriffen fühlten. Saraya Gomis, die auch als Antidiskriminierungsbeauftragte im Berliner Senat arbeitete, verwies dabei auf die psychologischen Stufenmodelle des Lernens: Irritationen seien generell ein wichtiger Teil des Lernprozesses. Workshops zu so komplexen Themen funktionieren oftmals nicht ohne Irritation. In der Fortbildung wurde damit nochmals deutlich, wie herausfordernd die rassismuskritische Arbeit als politische*r Bildner*in sein kann.