Der Umgang mit dem Virus und die gesellschaftspolitischen Maßnahmen haben seit dem Frühjahr 2020 erheblichen Einfluss auf die außerschulische Jugendbildungsarbeit zur Arbeitswelt und Lebensperspektive und auf ihre Teilnehmenden. Zunächst kam die Jugendbildung fast gänzlich zum Erliegen, dann begannen wir neue, zumeist digitale oder hybride Konzepte zu entwickeln. Gleichzeitig veränderten sich die Arbeitswelten und Lebensperspektiven von uns und unseren Teilnehmenden in einer rasanten Geschwindigkeit. Nun stehen wir als Fachgruppe mitten in der Transformation des eigenen Arbeitsfeldes und erleben Jugendliche, die lernen mussten und müssen, mit der Pandemie zu leben. Ihnen wollen wir im Folgenden den Raum überlassen. Dabei haben uns insbesondere die Perspektiven von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Übergang Schule–Beruf interessiert, denn ihre Stimmen fehlen bis heute in den Diskussionen und Maßnahmenkatalogen. Neben einer Vielzahl bereits erhobener und publizierter Studien haben wir innerhalb unserer Fachgruppe auch eine eigene Umfrage zu „Zukunft und Pandemie“ erstellt: 100 junge Menschen, die 2020 einen Freiwilligendienst absolvierten, haben uns Fragen zu ihrem Erleben in der Pandemie beantwortet und wir haben überraschende Ergebnisse erhalten.
Vergessene Jugend in der Pandemie
Dass sich die Konsequenzen der Pandemie nicht in Corona-Zahlen, Abstandsregeln und wirtschaftliche Unsicherheiten zusammenfassen lässt, wurde bereits durch die erste JuCo Studie (vgl. Andresen et al. 2020a) im Frühjahr 2020 deutlich. Es gibt viele marginalisierte Gruppen über die kontinuierlich gesprochen wird, die jedoch selbst nicht beteiligt und auf ihnen zugeteilte Rollen reduziert werden. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene stellen so eine Gruppe dar und werden auf ihre Rolle als Schüler*innen oder Student*innen reduziert. Gerade sie empfinden die Erfahrungen des Lockdowns und der daraus resultierenden Kontaktbeschränkungen als emotional und psychisch belastend. Während die frühkindliche Bildung und politische Jugendbildung von heute auf morgen gar keinen Stellenwert mehr hatte, wurde über Schulen viel diskutiert. Leider wurden die eigentlichen Expert*innen dieses (schulischen) Lernraumes, die Schüler*innen selbst, nicht in die Diskussion einbezogen: „Es wird häufig in der Politik darüber diskutiert, was mit den Schulen, den Schülern und dem Unterrichtsstoff passieren soll. Aber wir (also die Schüler) werden nie gefragt, also es wird nicht gefragt, ob bzw. was für Lösungsideen wir haben oder was wir für das Beste halten oder was wir uns wünschen.“ (Ebd., S. 16) Dass Schule nicht alles ist und Kinder und Jugendliche in nicht-formalen Settings demokratisches Miteinander erleben und lernen, kam in der Vorstellung von Entscheidungsträger*innen nicht vor. Auch wurden Expert*innen der Jugendarbeit und außerschulischen Bildung nicht befragt, was aus ihrer Sicht in Sachen Bildung zu tun sei.
Strukturelle Möglichkeiten der Partizipation für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien sind nach wie vor kaum vorhanden und werden konsequent vergessen. Junge Menschen sind mehr als Schule. Und selbst um die Öffnung von Schulen wurde noch debattiert. Junge Menschen sind eingebettet in familiäre und soziale Systeme, pflegen Angehörige, kümmern sich um Geschwister, Eltern und Großeltern, können selbst schon Eltern sein, engagieren sich in Vereinen und Verbänden, machen Sport, Kunst und Musik, sind – nicht erst seit Fridays for Future – politisch aktiv, studieren, machen eine Ausbildung, sind auf der Suche nach (sexueller und geschlechtlicher) Identität, arbeiten in Freiwilligendiensten, sind berufstätig, gründen Firmen und vieles mehr. Vor allem aber sind eins: betroffen. Betroffen von allen Entscheidungen, die ohne ihre Mitwirkung getroffen werden. Die Stimmen der Kinder und Jugendlichen haben keine Rolle gespielt, in Präventions- und Gesundheitsfragen, in Fragen der Bildung und Politik. Das Gefühl von Selbstwirksamkeit, Zugehörigkeit und sozialem Zusammenhalt spielt eine besondere Rolle für die psychische Gesundheit. Diese ganzheitliche Gesundheit der jungen Menschen wird aktuell leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Die Jugendlichen aber prägen die Zukunft und sind die zukünftigen Gestalter*innen – ihre Stimmen müssen gehört und anerkannt werden. Politische Jugendbildung könnte Räume dafür bieten.
Besonders am Beispiel der Kinder und Jugendlichen aus der Vielfalt von Familien und Schüler*innen mit Förderbedarf zeigt sich die fehlende Lobby. Jugendliche befinden sich in sehr sensiblen Phasen des Übergangs. Junge Menschen, die sich beispielsweise im Übergang von der Bildungs- zur Arbeitswelt befinden und womöglich während der Pandemie mit der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz beschäftigt waren, fühlen sich im Stich gelassen durch die Politik (vgl. Barlovic et al. 2020). Sophie Schmitt belegt eindrücklich, dass die Arbeit und die Antizipation der Teilnahme an der Arbeitsgesellschaft immer noch sinnstiftender Teil jugendlichen Identitätsentwürfe sind. Entlang ihrer Ressourcen, ihrer gesellschaftlichen Positionierung und entlang ihrer Möglichkeiten einen Bildungsabschluss zu erhalten, erhöhen oder reduzieren sich ihre Chancen (vgl. Schmitt 2021). Schmitt betont: „Zu lange wurden Kinder und Jugendliche von der Politik lediglich als Schüler*innen adressiert, als potentielle Virenüberträger*innen und damit als Risiko für sogenannte Risikogruppen sowie als Belastung für Eltern, denen die zweifellos anstrengende Aufgabe zuteilwurde, Erwerbsarbeit und Homeschooling miteinander zu verbinden.“ (Ebd., S. 23) Diese reduzierende Perspektive auf Kinder und Jugendliche verbindet sich hier mit einer Gesellschaft, in der das Alter der Entscheider*innen über Partizipation und Mitbestimmung einer großen Bevölkerungsgruppe dominiert.
„Transformationen: Globale Entwicklungen und die Neuvermessung der politischen Bildung“ war das Jahresthema des AdB 2020. Treffender könnte ein Jahresthema nicht gewählt sein. Während sich einerseits die menschengemachte Klimakrise immer deutlicher vor unseren Augen offenbart, hält die Pandemie seit einem Jahr das Brennglas auf die systemischen Problemstellungen, vergrößert Armut und verstetigt die Zugehörigkeit zum Prekariat. Die jungen Menschen sind es, die sich mit den noch nicht absehbaren ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen dieser Krisen auseinandersetzen müssen. Laut der zweiten JuCo-Studie (vgl. Andresen et al. 2020b) haben über 40 % der Studienteilnehmer*innen aufgrund der aktuellen Situation Angst vor der Zukunft, bis zu 70 % zumindest teilweise. Diese Angst der Jugend ist ernst zu nehmen, sie sollte eine Grundlage sein, sich für eine respektvolle und faire Zukunft zu entscheiden.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Fachgruppe entschlossen, selbst junge Menschen im Bundesfreiwilligendienst, die Teilnehmer*innen in unseren Jugendbildungsseminaren waren, zu befragen, wie sie dieses Jahr erlebt haben.
Schools Out und neue Lebensperspektiven – Freiwilligendienst in der Pandemie
„Ich habe 2020 Abi gemacht, ich hätte einen Abiball und eine tolle Reise mit meinen Freundinnen erleben können. Leider ist das alles ausgefallen.“ (Bundesfreiwillige 2020/21)
Das Gefühl von Freiheit nach all den Schuljahren, das näher rückt, und eine gute Zeit mit Freund*innen, wie man sie nach der Schulzeit vielleicht nicht mehr wieder erlebt. Die Welt wird immer größer und spätestens mit der Planung der Abschlussfeier beginnt für einige die Planung des nächsten Lebensabschnitts: Auslandsjahr, Freiwilligendienste, Ausbildung, Studium. Und zwischen Leben genießen, Abschied planen, Neues wagen wollen und Aufbruchsstimmung kam plötzlich eine Pandemie: Corona! Niemand wusste Anfang 2020, was geschehen wird, welche Ausmaße die Pandemie bekommen wird und vor allem, welche Auswirkungen sie für jede*n persönlich haben könnte. Für einen Augenblick stand die Welt still und für eine junge Generation, von denen viele ohne Grenzen und Mauern aufgewachsen sind, muss es sich auf einmal wie ein schlechter Scherz angefühlt haben. Statt gemeinsam für die Abschlussarbeiten zu lernen und eine gute Zeit mit Freund*innen zu haben hieß es nun also: Wir bleiben Zuhause!
„Ich habe das Gefühl mein Alltag wird immer eintöniger und meine Tage drehen sich außerhalb der Arbeit nur noch um das Internet. (…) Mir fehlt es an Struktur im Alltag aber ich bin auch nicht gewillt, sie mir selbst zu schaffen. (…) Wesentlich länger will ich das Ganze gar nicht aushalten.“ (Leo, 19 Jahre)
Doch die jungen Erwachsenen, die an der Umfrage der Fachgruppe „Zukunft und Pandemie“ teilgenommen haben, zeigen auch, dass einige der Befragten die Krise als Herausforderung und Chance nutzten konnten. Wir lernten, es gibt immer verschiedene Perspektiven auf eine Krise. Im Folgenden die Antworten der Jugendlichen, die sich mitten in der Pandemie – zum Zeitpunkt der Befragung – im Freiwilligendienst (FSJ) befanden.
Auf die Frage, welche Entscheidungen aufgrund der Pandemie neu getroffen werden mussten, antworteten 36 der 103 Befragten, dass sich bisher keine ihrer Pläne änderten. Trotzdem mussten viele Personen ihre (Reise-)Pläne streichen und sich daher für ein Freiwilliges Soziales Jahr, einen Bundesfreiwilligendienst (BFD), eine Ausbildung oder ein Studium entscheiden. „Ich wollte meinen 18. Geburtstag feiern, mit Freunden nach Spanien fliegen und einfach mein Leben leben!!“ (Freiwillige im FSJ 2020/21) Viele gaben an, neue Entscheidungen treffen zu müssen, wie z. B. ob und welche Familienmitglieder oder Freund*innen man noch treffen möchte. Einige der Befragten überdachten nochmals ihre Zukunftspläne, wie z. B. ein FSJ/Ausbildung, statt eines Online-Studiums. Es gab auch positive Wendungen einzelner Jugendlicher. So entschied sich ein junger Mensch für ein BFD im Krankenhaus, wodurch erst die Begeisterung für Medizin entdeckt werden konnte. Ein FSJ angefangen zu haben war „die beste Entscheidung“, äußerte ein junger Mensch, als Konsequenz aus der Pandemie.