“Demokratie
braucht
politische Bildung”

„Empowered by Democracy“ abgeschlossen

Modellprojekt im Bundesprogramm „Demokratie leben!“
AdB-Projekte in Bundesprogrammen

Ende 2019 hat der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) nach zweieinhalb Jahren das Kooperationsprojekt „Empowered by Democracy“ abgeschlossen, das im Verbund mit vier weiteren Mitgliedern der Gemeinsamen Initiative der Träger Politischer Jugendbildung (GEMINI) im Bundesausschuss politische Bildung (bap e. V.) umgesetzt wurde. Im AdB sind im Rahmen des Projektes zahlreiche neue Formate und Maßnahmen mit und für junge Menschen mit Fluchterfahrung entstanden oder wurden fortgesetzt und erweitert.

Seminar in der Historisch-Ökologische Bildungsstätte Emsland in Papenburg e.V.
Foto: Sepehr Atefi

Aktivitäten 2019

 

Im letzten Projektjahr 2019 wurden in Kooperation mit neun AdB-Mitgliedseinrichtungen zahlreiche Maßnahmen politischer Bildung umgesetzt. Der thematische Fokus lag im dritten Jahr auf der Qualifizierung von Teamer*innen mit Fluchterfahrung. Weiterhin wurden zahlreiche Maßnahmen für Teilnehmende mit Fluchterfahrung angeboten, die sich vielen unterschiedlichen Themen der politischen Bildung widmeten, bspw. Partizipation und Empowerment.

 

Im Mai 2019 fand in Fulda das letzte gemeinsame Vernetzungstreffen im Projekt statt. Mit den Teilnehmer*innen der beteiligten GEMINI-Träger wurde das Projekt ausgewertet und eine insgesamt positive Bilanz gezogen.

 

Den krönenden Abschluss des Projekts bildete im September 2019 eine zweitägige Abschlussveranstaltung. Mehr als 80 Teilnehmende kamen im Jugendkulturzentrum PUMPE in Berlin zusammen, um gemeinsam die letzten zweieinhalb Jahre des Projekts Revue passieren zu lassen, Ergebnisse zu präsentieren und zu diskutieren und sich austauschen. Bei der Veranstaltung ist es gelungen, die jungen Teilnehmenden des Projektes als aktive politische Bildner*innen in die Mitgestaltung und Umsetzung einzubeziehen.

 

Ein Blick zurück: Projektentstehung und Projektziele

 

Nach dem „Sommer der Migration“ 2015 sahen die Träger der politischen (Jugend)-Bildung es als ihre Aufgabe an, auch vermehrt Neuzugewanderte in die politische (Jugend-)Bildung einzubeziehen und mit ihnen Antworten auf die Frage zu suchen, wie wir in dieser Gesellschaft zusammenleben wollen. Diese grundsätzliche Offenheit und das teilnehmendenorientierte Arbeiten als einer der Grundsätze politischer Bildungsarbeit machten es zu einer Selbstverständlichkeit, dass auch junge Menschen mit Fluchterfahrung Zielgruppe von Formaten der Träger politischer Bildung sind. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen begann 2017 das gemeinsame trägerübergreifende Projekt „Empowered by Democracy“. Der AdB hat das Projekt in Kooperation mit vier Mitgliedern der GEMINI umgesetzt:

 

  • Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke (AKSB)
  • Bundesarbeitskreis Arbeit und Leben (AL)
  • Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung (ET) (Gesamtkoordination des Projekts)
  • Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum (VBLR)

 

Folgende Ziele wurden im Projekt verfolgt:

 

  • Qualifizierung und Professionalisierung der politischen Bildung mit jungen Geflüchteten
  • Entwicklung und Erprobung von Ansätzen und Methoden des gemeinsamen Demokratielernens für heterogene Zielgruppen (junge Menschen mit und ohne Fluchthintergrund, junge Menschen mit und ohne Migrationshintergrund)
  • Ermöglichung einer strukturierten Auseinandersetzung über Konfliktthemen in der Einwanderungsgesellschaft
  • Aufzeigen von Möglichkeiten zur politischen Teilhabe und Beteiligung für junge Geflüchtete
  • Qualifizierung junger Geflüchteter zu Koproduzenten politischer Bildung
  • Förderung des Austausches und der Vernetzung zum Themenfeld innerhalb des AdB
  • Aufbau einer bundesweiten Kooperationsstruktur zwischen Akteuren der Flüchtlingshilfe, kommunalen Verwaltungsstrukturen und politischen Bildner*innen

 

Was bleibt? – Auswertung des Projektes im AdB

 

In Kooperation mit insgesamt 17 AdB-Mitgliedseinrichtungen wurden von 2017 bis 2019 rund 65 Einzelmaßnahmen im Projekt umgesetzt. Diese reichten von Tagungen zum Thema Flucht über Seminare für und mit jungen Menschen mit und ohne Fluchterfahrung zu vielen unterschiedlichen Themen, bis hin zu Qualifizierungsreihen für neue Teamende in der politischen Bildung. Mit den Maßnahmen wurden insgesamt ca. 1.300 Teilnehmende erreicht von denen mindestens 40 % Teilnehmende mit Fluchterfahrung waren (diese Zahl beruht auf Schätzungen der Seminarleitungen).

 

Foto: Sepehr Atefi

Im AdB sind in der Projektlaufzeit zahlreiche neue Formate und Maßnahmen mit der Zielgruppe geflüchtete Jugendliche entstanden oder wurden fortgesetzt und erweitert, die Zahl der Maßnahmen insbesondere mit Teilnehmenden mit und ohne Fluchterfahrung war konstant hoch.

 

In vielen unterschiedlichen AdB-Einrichtungen wird mit jungen Menschen mit Fluchterfahrung gearbeitet. Wie das konkret aussieht ist aber immer auch von lokalen Ressourcen und der Ausgangsituation geprägt. Einige Einrichtungen haben ihre langjährige Arbeit mit der Zielgruppe im Rahmen des Projektes fortgesetzt und erweitert und dabei die Qualifizierung von neuen Teamer*innen mit Fluchterfahrung in den Blick genommen. In anderen Einrichtungen war das Thema und/oder die Zielgruppe eher neu und durch das Projekt konnte bewirkt werden, das erste Maßnahmen stattgefunden haben.

 

Definitiv hat „Empowered by Democracy“ dazu beigetragen die Perspektive auf und Vorstellung von „jungen Menschen mit Fluchterfahrung“ zu erweitern und nochmals deutlich gemacht, wie heterogen die Gruppe ist, die sich hinter diesem Label verbirgt. Junge Menschen mit Fluchterfahrung sind in den im Projekt beteiligten AdB-Einrichtungen in unterschiedlicher Funktion präsent: als Teilnehmende, Teamende, Honorarkräfte etc. Diese Präsenz ist durch das Projekt gestärkt worden. Deutliches Entwicklungspotenzial gibt es jedoch weiterhin bei der Besetzung von hauptamtlichen Stellen mit Personen mit Fluchterfahrung.

 

Wenn man davon ausgeht, dass politische Bildung auch immer bedeutet, gesellschaftliche Machtpositionen kritisch zu reflektieren und zu hinterfragen, ist die politische Bildungsarbeit zu Themen und mit Teilnehmer*innen, die gesellschaftlich und politisch marginalisierten sind, Ausdruck dieses Anspruchs. In der Projektumsetzung ist es gelungen, unterschiedlichen Perspektiven, Potenzialen und Forderungen von jungen Menschen mit Fluchterfahrung sichtbar zu machen. In unterschiedlichen Maßnahmen des Projektes haben jungen Teilnehmende mit Fluchterfahrung den Wunsch formuliert, als „normale“ junge Menschen und Teil der Gesellschaft und politischen Bildung gesehen zu werden. Mit „Empowered by Democracy“ wurde hierfür ein erster Schritt gemacht.

 

Grafik: Janina Röhrig

Auch nach dem Projektende wird die Beschäftigung mit dem Themenfeld „Flucht und Migration“ und die Arbeit mit jungen Menschen mit Fluchterfahrung im AdB insgesamt und insbesondere in der Fachgruppe „Flucht und Migration“ des Programms „Politische Jugendbildung im AdB“ fortgeführt.

 

Die zentralen Projektergebnisse aller beteiligten Träger sind auch in einer gemeinsamen Abschlusspublikation zusammengefasst.

 

Was wir gelernt haben: Gelingensbedingungen und Zielgruppenerreichung

 

Auch nach fast drei Projektjahren lassen sich selbstverständlich keine allgemeingültigen Gelingensbedingungen formulieren, jedoch sind die im folgenden aufgeführten Punkte immer wieder als Kriterien benannt worden, die eine erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen der politischen Bildung für junge Menschen mit Fluchterfahrung unterstützen:

 

  • Politische Bildungsarbeit mit jungen Menschen mit Fluchthintergrund erfordert keine „andere“ politische Bildungsarbeit.
  • Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung als Teamende oder als Maßnahmenleitung sollte regelmäßig erfolgen.
  • Hohe Teilnehmendenorientierung, bei der die Interessen der Teilnehmenden mit Fluchterfahrung Berücksichtigung finden (wie in Formaten der politischen Bildung üblich), ist grundlegend.
  • Sensibilität in der Methodenauswahl und im Ablauf und für eingebrachte Erfahrungen heißt, Methoden und Themen zu wählen, zu denen die Teilnehmenden aus eigener Erfahrung und eigenem Wissen etwas beitragen können, um Selbstwirksamkeitserfahrungen und empowernde Erlebnisse zu ermöglichen.
  • Es müssen abwechslungsreiche Methoden gewählt werden, bei denen unterschiedliche Kompetenzen gefordert und gefördert werden, sodass sich alle Teilnehmenden einbringen können und unterschiedliche Aufmerksamkeitsspannen und Lerntypen angesprochen werden.
  • Mehrsprachigkeit des Teams und der Materialien und Methoden und/oder Einsatz von Dolmetschenden ist bedeutsam, schafft Vertrauen und bezeugt Respekt.
  • Es ist ausreichend Raum und Zeit notwendig, um Vertrauen zwischen den Teilnehmenden sowie zu den Seminarleiter*innen aufzubauen.
  • Wertschätzende Atmosphäre und Sensibilität der Leitung für die Diversität der Gruppe: Teilnehmende betonten, dass sie die Formate der politischen Bildung auch als geschützte Räume erleben in denen ihnen trotz hoher Diversität der Gruppe viel Wertschätzung begegnet ist, die sie nachhaltig für den Alltag stärkte.
  • Heterogene Gruppen in ihrer Diversität anerkennen: In heterogenen Gruppen betonen Teilnehmende mit und ohne Fluchterfahrung ihre Gemeinsamkeiten und gemeinsame Lebenswelten. Für die Einrichtungen bedeutet dies zukünftig, diese Zielgruppe nicht länger gesondert als eine spezifische zu betrachten – die ohnehin immer sehr heterogen war – sondern Formate zu schaffen, die sich diversitäts- und diskriminierungssensibel an den Bedürfnissen und der Lebenswelt der Teilnehmenden orientiert, ohne die Kategorie „Flucht“ dabei immer besonders hervorzuheben.
  • Maßnahmen mit geflüchteten Frauen als Zielgruppe sollten eine Kinderbetreuung ermöglichen, da deren Teilnahme sonst häufig nicht möglich ist.

 

Auch das Gelingen des Zugangs zur Zielgruppe ist an verschiedene lokale Bedingungen und Ressourcen geknüpft. Häufig benannt wurden jedoch folgende Punkte:

 

  • Schlüsselpersonen bspw. bei Kooperationspartner*innen oder auch frühere Teilnehmende aus vergangenen Seminaren können für die Teilnehmendenakquise bedeutsam sein.
  • Kooperationspartner*innen (MSO, Unterkünfte, Schulen, Anbieter von Sprachlernklassen etc.) sind sehr bedeutsam für den Zugang und die Erreichbarkeit der Zielgruppe. Durch nun zumeist bereits über Jahre bestehende Kooperationen kommen Partner*innen mit Bedarfen für Maßnahmen für junge Menschen mit und ohne Fluchterfahrung direkt auf AdB-Einrichtungen zu. Dies weist darauf hin, dass die in der Vergangenheit mit der Zielgruppe umgesetzten Maßnahmen als gut und bereichernd befunden wurden.
  • Einige der Teilnehmenden – so ließ sich in einigen Einrichtungen beobachten – kehrten immer wieder zurück, um an Maßnahmen teilzunehmen. Es gelang demnach den im Projekt beteiligten Einrichtungen und den dort tätigen pädagogischen Fachkräften, Maßnahmen umzusetzen die junge Teilnehmende mit und ohne Fluchterfahrung erreichen und sie für Themen der politischen Bildung zu begeistern.
  • Zukünftig verliert der Zugang zur und daher auch die Ausschreibung von Maßnahmen explizit für die Zielgruppe „Menschen mit Fluchterfahrung“ an Bedeutung: Einrichtungen berichten, dass die Zuschreibung „junge Geflüchtete“ für diejenigen, die nun seit einigen Jahren in Deutschland leben, selbst zunehmend an Relevanz verliert. Mit der Rückgewinnung von Kontrolle über das eigene Leben durch Schulbesuche, Ausbildungsverträge oder Lohnarbeit kehrt ein Alltag ein. Junge Geflüchtete wünschen sich, als Teil der Normalität und dementsprechend als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden.

 

Foto: Sepehr Atefi

Publikationen und Material

 

Eindrücke, Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Projekt sind in diesen, zum Abschluss des Projektes erschienenen Publikationen und Videos festgehalten:

 

  • Broschüre: Zwei Jahre „Empowered by Democracy“ – Jugendliche berichten „… doch dann hat es mich gepackt, ich habe politisches Interesse entwickelt.” Junge Teilnehmende mit und ohne Fluchterfahrung berichten über ihre Erfahrungen im Projekt. Zum Download
  • Video: „Our Stories“ – Drei junge Teamende aus dem Projekt erzählen, wie sie Angebote der politischen Jugendbildung kennengelernt haben und was politische Bildungsarbeit für sie bedeutet. Zum Video
  • Abschlusspublikation: „Empowerment, Begegnung und Demokratie gestalten“ – Nach nahezu drei Jahren wird im Herbst 2019 Bilanz gezogen und auf vielfältige Begegnungen, spannende politische Diskussionen und gemeinsame Aktivitäten zurückgeblickt. Die Abschlusspublikation von „Empowered by Democracy“ trägt die Projektergebnisse zusammen und bietet praxisnahe Einblicke in eine politische Bildungsarbeit. Zum Download
  • Videoclip: „Empowered by Democracy“ – „Wie wollen wir in dieser Gesellschaft zusammenleben?” ist die Ausgangsfrage von „Empowered by Democracy“, auf die im Projektverlauf zahlreiche Antworten gefunden und diskutiert wurden. Im Clip sprechen verschiedene Akteure mit und ohne Fluchtgeschichte über ihre Erfahrungen im Projekt und fassen ihre Erkenntnisse zusammen. Zum Videoclip auf der Projektwebsite
  • Vortrag von Prof.Dr.  Aladin El-Mafaalani „Die Rolle der politischen Bildung für Aushandlungsprozesse und eine demokratische Streitkultur in der Migrationsgesellschaft“ – Einen Videomitschnitt des kurzweiligen Vortrags, den der Referent auf der Abschlusskonferenz von „Empowered by Democracy“ am 26. September 2019 in Berlin gehalten hat, ist hier zu finden.

 

Gefördert wurde das Projekt aus Mitteln des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).