Politische Bildung sollte den Anspruch haben, die Verschiedenheit der Zielgruppen auf Seiten der Bildner*innen, aber auch in den Themen und Zugängen abzubilden. Sie braucht Standards bzw. Curricula, die einen vielfältigen Zugang ermöglichen. Dabei spielt die Nachwuchsgewinnung, das Heranführen an das Berufsfeld „Politische Bildung“ ebenso eine Rolle, wie die konsequente Auseinandersetzung bzw. Weiterbildung zu gesellschaftspolitisch diskutierten Themen. Dies wurde z. B. in einer Fortbildung mit mehreren Modulen in der Auseinandersetzung mit jungen teilnehmenden Expert*innen aufgegriffen. Die Fragen, die die Teilnehmer*innen beschäftigten, waren z. B.: Welche Themen sollten in Zukunft besonders aufgegriffen und vertieft werden? Was brauchen die politischen Bildner*innen? Wer wird gehört? Wie lässt sich der Vernetzungsgrad untereinander erhöhen?
Ziel einer solchen Veranstaltung, wie sie die Fachgruppe „Flucht und Migration“ 2019 mit dem Titel „Train the Trainer on Tour. Einblick – Durchblick – Weitblick“ für Multiplikator*innen mit und ohne Fluchterfahrung in der Stiftung „Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar“ und der Jugendbildungsstätte Kaubstraße durchgeführt hat, war es, deutlich zu machen, dass in der politischen Bildung und nicht zuletzt in der demokratischen Migrationsgesellschaft die Lebenswelten von ganz unterschiedlichen Menschen repräsentiert sind und dass es notwendig ist, dass viele unterschiedliche „stories“ gehört werden.
Dazu wurden während des Projekts u. a. mit dem Format BarCamp möglichst viele Themen, Felder, Methoden, Interessen, Fragen auf das Tableau gehoben und von allen diskutiert, sich dazu ausgetauscht, gegenseitig unterrichtet und weitergebildet. Dieses Format hatte gleich mehrere methodisch-didaktische Vorteile: Es ist zum einen bedarfsoffen, sodass während der Seminars – ausgehend von den anwesenden Teilnehmenden mit ihren verschiedenen, individuellen Bedarfen – geprüft wird, zu welchen Themen, Methoden, Inhalten das Seminar stattfinden soll. Zum anderen macht es die Teilnehmer*innen selbst zu Expert*innen. Das Vorgehen gibt allen die Möglichkeit, eventuell entstehende Hierarchien und Machtbeziehungen immer wieder zu reflektieren und abzubauen. Das Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit und Professionalität motiviert, so die Erfahrungen, die Menschen dazu, sich auch nach der Veranstaltung stärker an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen und Verantwortung zu übernehmen.
Die hier und an anderer Stelle gemachten Erfahrungen zeigen, wie wichtig es ist, Projekte und Formate für (angehende) Multiplikator*innen mit und ohne Fluchterfahrungen gemeinsam anzubieten. Dass diese gut gelingen und Auswirklungen auf die Praxis politischer Bildung haben, setzt voraus, dass es politisch und gesellschaftlich gewollt ist, dass z. B. Menschen mit Fluchterfahrungen oder People of Colour in der politischen Bildung sichtbarer und aktiver werden. Das heißt aber auch für die politischen Bildner*innen: „Platz machen für andere Perspektiven!“, Verantwortung abgeben und Vertrauen schaffen, damit Räume entstehen, die aus der überwiegend nicht repräsentierten Perspektive besetzt werden können.
Weltsicht und Weltzugänge vermitteln
Weltsichten und Weltzugänge sollen in der außerschulischen politischen Jugendbildung durch die politischen Bildner*innen und Trainer*innen an die Jugendlichen mitvermittelt werden. Vor diesem Hintergrund ist es zentral zu fragen, was und wer darüber bestimmt, mit wem, über wen, über was und in welcher Art und Weise gesprochen wird. Dazu gehört aber v. a. auch die Erkenntnis bzw. Feststellung, dass die aktuelle politische Bildung immer noch von Personen geprägt ist, die weiß cis-heteronormativ positioniert sind und in ihrer Lebenswelt keine oder selten Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen gemacht haben. Vor diesem Hintergrund machte es sich die Fachgruppe „Flucht und Migration“ zur Aufgabe, mit der oben genannten Fortbildung dieser Schieflage entgegenzuwirken und zumindest die Zahl der Einblicke in Bedürfnisse und Realitäten von Menschen, die im Feld der politischen Bildung tätig sind, zu erhöhen.
Jungen politischen Bildner*innen jenseits von cis-heteronormativer Positionierung und mit Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen bzw. mit anderen gesellschaftlichen Positionierungen wurde der Raum zum Vernetzen, Fortbilden und Austausch gegeben. Es wurde dazu beigetragen, die Lebenswelten von ganz unterschiedlichen Menschen zu repräsentieren – im Sinne der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie: dass viele Geschichten erzählt werden.
Postmigrantische Gesellschaft – sozialwissenschaftliche Erkenntnisse als Ausgangslage für unsere Überlegungen
Migration ist ein signifikanter Bestandteil der deutschen Gesellschaft und deren anhaltende Diskurse sind zusehends zum gesellschaftlichen Querschnittsthema geworden. Wir leben in einer Postmigrationsgesellschaft (vgl. zu den folgenden Überlegungen Lohe 2016).
Unter dem Titel „Deutschland postmigrantisch. Gesellschaft, Religion, Identität“ sind seit 2014 mehrere Studien erschienen, die die aktuellen Fragen von Zugehörigkeit und Ausschluss gesamtgesellschaftlich analysieren und diskutieren. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Datenerhebung über Telefoninterviews zwischen 2013 und 2014 stattfand, also bevor die Fluchtthematik den gesellschaftlichen Diskurs beherrschte. Eine eventuelle Überinterpretation aufgrund der Prominenz des Themas „Flucht“ ist demnach ausgeschlossen. Das macht die damals veröffentlichten Ergebnisse aus Sicht der Fachgruppe „Flucht und Migration“ besonders interessant – auch für die Jugendarbeit insgesamt und für die außerschulische politische Bildung im Besonderen. Ohne hier auf die Ergebnisse der Studien umfassend eingehen zu können, seien exemplarisch einige Aspekte hervorgehoben.