“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung

26.11. 2020

Das Bekenntnis zur unantastbaren Würde jedes Menschen bildet die Grundlage unseres gesellschaftlichen Wertesystems. Deutschland versteht sich als weltoffenes und demokratisches Land. Dennoch ist es nicht frei von Rassismus – rassistische Diskriminierungen, Vorurteile und Gewalt finden sich im gesellschaftlichen Alltag ebenso wieder wie in Strukturen des öffentlichen Lebens.

 

Die rassistischen Wissensbestände gründen insbesondere auf kolonialen und nationalsozialistischen Vorstellungen, die auf Ideologien der Ungleichwertigkeit basieren und nach wie vor in der Gesellschaft fest verankert sind. In Lehrbüchern, Spielfilmen, in der Werbung und in unserer Sprache werden diskriminierende Leitbilder (un-)bewusst reproduziert.

 

"Rassismus ist ein gesellschaftliches und soziales Phänomen und dient u. a. auch der vermeintlichen Legitimation bestehender oder der Erzeugung neuer Ungleichheiten." (Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung gegen Rassismus) Aktuelle Beispiele, von denen vor allem marginalisierte Gruppen betroffen sind, gibt es viele: rassistischer Terror, rassistische Vorfälle in staatlichen Organisationen wie Polizei und Bundeswehr, rassistische Hetzreden im Bundestag. Hinzu kommt die Tatsache, dass immer mehr Bürger*innen Hasstiraden und rassistische Anfeindungen im Internet verbreiten oder gemeinsam mit Holocaust-Leugner*innen, Rechtsextremist*innen und Reichsbürger*innen auf die Straße gehen, um gegen vermeintliche Freiheitsbeschränkungen im Zuge einer Pandemie zu protestieren.

 

Die Perspektiven derjenigen, die unmittelbar von diesen rassistischen Diskriminierungen betroffen sind oder sich bedroht fühlen, werden oft nicht gehört oder ihre Positionen werden vom weißen Teil der Gesellschaft relativiert. Hinzu kommt, dass viele von Rassismus unmittelbar Betroffene weiteren Diskriminierungen (z. B. aufgrund des Geschlechts oder der wirtschaftlichen Möglichkeiten) ausgesetzt sind. Das Problem Rassismus wird immer noch nicht ernst genug genommen, bzw. es werden sogar oftmals diejenigen dafür verantwortlich gemacht, die diskriminiert werden.

 

Rassismus wird oft individualisiert, d. h. als individueller Akt von Rassist*innen betrachtet, die jenseits einer vermeintlich moralischen Wertegemeinschaft stehen, was dazu führt, dass Rassismus nicht als gesellschaftliches, strukturelles Problem wahrgenommen wird. Gespräche über Rassismus sind oftmals durch Abwehr, Schweigen, Rechtfertigungen und Relativierungen gekennzeichnet. Dies beruht häufig auf fehlendem Wissen und der mangelnden Bereitschaft der Mehrheitsgesellschaft zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema.

 

Hier muss Politische Bildung ansetzen, zu deren Grundverständnis eine rassismuskritische Haltung und Ausrichtung gehören. Rassistische und demokratiefeindliche Entwicklungen in Deutschland und auch global machen eine Bekräftigung dieses Anspruchs und die Notwendigkeit einer rassismuskritischen und menschenrechtsorientierten Politischen Bildung in Deutschland erforderlich. Die Politische Bildung ist auf verschiedenen Ebenen herausgefordert, sich dieses Themas anzunehmen und sich mit den Ursachen, Auswirkungen, mit Prozessen und Strukturen kritisch auseinanderzusetzen.

 

Die Akteur*innen Politischer Bildung sind aufgerufen,

… eine selbstkritische Analyse der eigenen Arbeit und Strukturen vorzunehmen

Einrichtungen der Politischen Bildung müssen sich und ihre Strukturen immer wieder aufs Neue hinterfragen. Inhalte, Formate und Haltungen müssen diskriminierungskritisch überprüft und ggf. verändert werden. Um rassismuskritisch zu handeln reicht es nicht, entsprechende Seminare und Work-

 

shops anzubieten. Teil des Prozesses muss es auch sein, die Zusammensetzung der Mitarbeitenden, der Teilnehmenden, die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit etc. rassismuskritisch zu hinterfragen.

 

… Räume für rassismuskritische Bildung zur Verfügung zu stellen

Rassismus muss als strukturelles, gesellschaftliches Problem anerkannt und vermittelt werden. Teilnehmende brauchen Menschen und Formate, die ihnen dabei helfen, die Komplexität und Geschichte des Rassismus zu begreifen. Dafür brauchen sie teilnehmendenorientierte Formate, professionelle Workshopleitungen mit entsprechender Expertise und Offenheit. Im Besonderen bedeutet dies, eine Professionalisierung der politischen Bildner*innen in Form einer rassismuskritischen Aus- und Weiterbildung sicherzustellen.

 

… Diversität sichtbar zu machen

Eine rassismuskritische politische Bildung darf Diskriminierungen nicht (ausschließlich) aus einer weißen Perspektive thematisieren. Die Perspektiven der von Rassismus betroffenen Bildner*innen muss sich in den Angeboten deutlich wiederfinden. Insbesondere Teilnehmende, die unmittelbar selbst von Rassismus betroffen sind und bei denen vor allem das Empowerment wichtig ist, brauchen die Perspektiven von Leitungen, die selbst Diskriminierung erfahren haben.

 

… sich deutlich zu positionieren

Politische Bildung muss sich klar gegen Rassismus und Diskriminierung positionieren. Sie muss rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Strukturen als solche benennen und verurteilen. Ebenso muss sie sich solidarisch mit den von rassistischer Diskriminierung betroffenen Menschen und ihren Organisationen positionieren.

 

Der AdB fordert politische Entscheidungsträger*innen auf,

… Rassismuskritik auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu fördern und umzusetzen

Um die rassismuskritische Auseinandersetzung und die Bekämpfung von rassistischen Strukturen auf allen Ebenen zu ermöglichen, bedarf es einer Sensibilisierung für das Thema und das Schaffen guter Bedingungen. Hierzu gehört u. a. die Förderung wissenschaftlicher Forschung zu rassistischen Strukturen z. B. in staatlichen Organisationen und anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

 

… die rassismuskritische politische Bildung in staatlichen Institutionen auszubauen

Es gibt bereits gute Angebote politischer Bildung in staatlichen Institutionen wie z. B. in Polizei und Bundeswehr. Diese müssen ausgebaut werden. Freie Träger sollten dabei eine wichtige Rolle spielen und entsprechend finanziell ausgestattet werden. Sie können helfen, ein Klima zu schaffen, das die offene Auseinandersetzung mit und die Bekämpfung von Rassismus ermöglicht.

 

… die rassismuskritische Bildung in formaler und non-formaler Bildung zu fördern

In schulischen und beruflichen Bildungsangeboten fehlt die (rassismus-)kritische Auseinandersetzung, insbesondere mit deutscher Kolonialgeschichte und ihren Folgen. Hier bedarf es einer engen Zusammenarbeit mit der außerschulischen Politischen Bildung und den von Rassismus betroffenen Menschen und entsprechenden Organisationen. Die rassismuskritische Bildung würde zudem wirksam unterstützt und gestärkt, wenn sie Bestandteil von Lehr- und Ausbildungsplänen würde.

 

… sich auf die Seite von den von Rassismus betroffenen Menschen und Organisationen zu stellen und diese zu schützen

Rassistische Angriffe auf Menschen und Organisationen – sei es analog oder digital – sind Angriffe auf die Demokratie. Diese Angriffe müssen verurteilt und ihnen muss klar entgegengewirkt werden. Politisch Verantwortliche sind gefordert, alles dafür zu tun, dass Deutschland ein offenes und vielfältiges Land ist, in dem niemand rassistisch bedroht oder diskriminiert wird.

 

Politische Bildung ist nicht neutral. Sie basiert auf den Menschenrechten und demokratischen Werten, die mit Rassismus unvereinbar sind. Rassismuskritik gehört daher zu den Kernaufgaben Politischer Bildung.

 

Beschlossen von der Mitgliederversammlung des AdB am 26.11.2020