“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Transatlantische Herausforderungen, unterschiedliche Herangehensweisen?

Teilnehmer*innen an der Fachtagung "Transatlantische Herausforderungen, unterschiedliche Herangehensweisen?"
Foto: AdB
27.05. 2022

Online-Fachtagung wirft einen Blick auf Civic Education/Politische Bildung aus deutscher und amerikanischer Sicht

Am 19. Mai 2022 fand die Online-Fachtagung „Transatlantische Herausforderungen, unterschiedliche Herangehensweisen? Politische Bildung aus deutscher und amerikanischer Sicht“ statt. Es hatten sich Teilnehmer*innen und Referent*innen aus Deutschland und den USA zugeschaltet. Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) hat diese Tagung in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung geplant, organisiert und umgesetzt.

 

Ziel dieser Tagung war es, Menschen, die sich bisher noch nicht so intensiv mit dem transatlantischen Dialog und der transatlantischen Perspektive auf Civic Education beschäftigt haben, mit erfahrenen Expert*innen aus Forschung und Praxis zusammenzubringen und den Blick auf transatlantische Herausforderungen, aber auch auf die unterschiedliche Praxis von Civic Learning zu schärfen.

 

Die Idee zu dieser Tagung hat drei zentrale Ursprünge: Zum ersten wurde in der Ausgabe 1/2022 der AdB-Fachzeitschrift „Außerschulische Bildung. Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung“ zum Thema „USA – A Moment of Chance?“ gefragt, welche Rolle die politische Bildung und der transatlantische Austausch spielen können, um positive Entwicklungen, neu wachsende zivilgesellschaftliche Strukturen und das Engagement der Menschen in Deutschland und den USA zu stärken. Diese Diskussion sollte mit dieser Fachtagung weitergeführt werden.

 

Zum zweiten lotet das AdB-Projekt „TECE – Transatlantic Exchange of Civic Educators“ in einer umfassenden Reflexion über Civic Education aus. Das TECE-Projekt ist eine Zusammenarbeit zwischen dem AdB und dem Tisch College of Civic Life an der Tufts University in Boston. Das Projekt hat das Ziel, die Machbarkeit und den Wert des deutsch-amerikanischen Austauschs spezifisch im Bereich der außerschulischen politischen Bildung zu untersuchen. Was kann man lernen, wenn man sich Civic Learning in beiden Ländern vergleichend ansieht? Welche Themen sind für den Austausch am wichtigsten? Und welche Formate sind für diese Arbeit am besten geeignet? Im Mittelpunkt des TECE-Projekts steht eine Kerngruppe von TECE-Fellows, von denen einige ebenso an der Tagung teilnahmen.

 

In dem Projekt wird deutlich, dass es viele Herausforderungen transatlantischer Natur gibt – sowohl für die Gesellschaften selbst, als auch für die politische Bildung. Die Bedrohungen für die Demokratie – sowohl von innen als auch von außen – zeigen uns einmal mehr, wie wichtig die transatlantische Zusammenarbeit ist. Die politische Bildung spielt eine wichtige Rolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen. Es gibt ein neues Interesse von Seiten der Politik und auch der Öffentlichkeit an neuen Investitionen in die politische Bildung in beiden Ländern. Wir schauen allerdings nicht oft genug über den nationalen oder regionalen Tellerrand hinaus, um herauszufinden, wie das Thema politische Bildung in anderen Ländern behandelt wird. Dies sollte in dieser Tagung ebenso ermöglicht werden.

 

Zum dritten haben die unterschiedlichen Gründe, weshalb sich die Berliner Landeszentrale für politische Bildung mit transatlantischen Begegnungen beschäftigt, Eingang in die Tagungsplanung genommen: Seit 2016 nutzt die Landeszentrale die Räume des „Amerika Hauses“, das 1957 für die United States Information Agency am Bahnhof Zoologischer Garten gebaut wurde und in dem bis 2004 US-amerikanische auswärtige Kulturpolitik gemacht wurde. Die Beschäftigung mit diesem Thema hat aber auch inhaltliche Gründe, denn der Blick über den Atlantik, der Vergleich mit dem politischen System und den politischen Debatten der USA kann ein Baustein zum Lernen über unsere eigene politische Landschaft sein. Das amerikanische Konzept der Re-education, das aus Mitläufern des Nazi-Regimes Demokrat*innen machen wollte, hat den Aufbau der politischen Bildung nach 1945 in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland stark beeinflusst. Die  Strukturen mit Landeszentralen in allen Bundesländern, einer Bundeszentrale für politische Bildung und einer breiten zivilgesellschaftlichen Trägerlandschaft entstanden in den ersten Jahren nach dem Krieg und nach dem Mauerfall auch in den neuen Bundesländern.

 

Den inhaltlichen Einstieg machte Laura Tavares, WPS Institute, die mit ihrem Vortrag „Herausforderungen und Chancen für die politisch Bildung in den USA“ eine beeindruckende Zustandsbeschreibung lieferte und den Blick auf aktuelle Herausforderungen wie Polarisierung, struktureller Rassismus und die Krise der Demokratie schärfte. In Breakout-Sessions konnten sich die Teilnehmer*innen über die Relevanz dieser Themen für die politische Bildung in Deutschland austauschen. Die wichtigsten Stichworte wurden in einem Padlet festgehalten und bieten eine nützliche Grundlage für eine weitere Auseinandersetzung mit diesen Themen.

 

Mit Andrew Wilkes, Generation Citizen, und Makda Isak, EOTO e. V., konnten zwei ausgewiesene Expert*innen gewonnen werden, die aus unterschiedlichen Perspektiven auf den Umgang mit Rassismus und kolonialer Vergangenheit in den beiden Ländern blickten und in einer für die Teilnehmer*innen geöffneten Diskussion auf die Frage eingingen, was wir hier voneinander lernen können.

 

Zum Abschluss der Fachtagung wurde eine Gesprächsrunde zum Thema „Warum ist eine transatlantische Perspektive für die politische Bildung relevant und wie können wir den Austausch fördern?“ organisiert. Elena Neu, Project Officer International Youth Policy Cooperation, IJAB, Martin Kaiser, Gustav-Stresemann-Institut in Niedersachsen e. V. – Europäisches Bildungs- und Tagungshaus Bad Bevensen, Ina Bielenberg, AdB-Geschäftsführerin, und Prof. Dr. Leo Penta, Deutsches Institut für Community Organizing (DICO), diskutierten, welche Themen besonders relevant sind, welche Unterstützung gebraucht wird und wie mehr Zusammenarbeit, Dialog und Austausch gelingen kann.

 

Einige wichtige Erkenntnisse aus den Beiträgen und Diskussionen, aber auch aus dem TECE-Projekt, die einer weiteren Betrachtung und Bearbeitung bedürfen, sollen an dieser Stelle genannt werden:

 

  • „Wir haben ausreichend Gemeinsamkeiten, um uns verstehen zu können und ausreichend Unterschiede, um voneinander lernen zu können“, hieß es in der Abschlussdiskussion. Dennoch ist – besonders im internationalen Kontext, aber auch mit den Partnern in Deutschland untereinander – die Frage zu klären, was wir eigentlich meinen, wenn wir von politischer Bildung, Demokratiebildung, Civic Education, Civic Learning (oder Human Rights Education?) sprechen. Zu erfahren, wie diese Begriffe in anderen Kontexten verstanden werden, kann uns helfen, uns neue Ansätze und Denkweisen für unsere Arbeit vorzustellen. Dazu gehört auch die Diskussion über das Verhältnis von politischer Bildung und politischer Aktion sowie die Verständigung darüber, was es heißt, Demokratie aktiv mitzugestalten. Könnte die Verständigung auf Human Rights Education/Menschenrechtsbildung eine gemeinsame Basis sein?
  • Die weniger klar definierte Vorstellung davon, was außerschulische politische Bildung in den USA ist, ermöglicht es, über definierte Berufsfelder hinauszugehen und darüber nachzudenken, wie politische Bildung anders gestaltet werden kann. Diese Frage ist aber in den USA nicht von den polarisierten „Culture Wars“ geschützt. Obwohl es einen breiten Konsens darüber gibt, dass wir mehr politische Bildung brauchen, gibt es Uneinigkeit darüber, wie das am besten geschehen soll. Sollte politische Bildung das aktive Engagement junger Menschen fördern? Wie sollten Bildner*innen und Jugendarbeiter*innen das Thema Rassismus und die Erinnerung an die Sklaverei behandeln? Wie neutral kann und sollte politische Bildung sein in einem stark polarisierten Umfeld?
  • Schaut man auf die Infrastrukturen für politische Bildung in Deutschland und den USA, werden sehr große Unterschiede deutlich. In Deutschland wird die Bildungsarbeit z. B. stark durch öffentliche Mittel unterstützt, während sie in den USA vor allem privat finanziert wird. In Deutschland ist der professionelle Bereich vorwiegend institutionalisiert und es gibt zahlreiche Institutionen und Verbände, die das Arbeitsfeld definieren. In den USA gibt es hingegen wenige professionelle Netzwerke. Das CivXNow-Netzwerk ist ein Beispiel, wie es in den USA gelingt, eine Vielzahl von Organisationen zusammenzubringen, die auf sehr unterschiedliche Weise politische Bildungsarbeit leisten. Gleiche Strukturen sind jedoch keine Voraussetzung für einen effektiven Austausch. Vielmehr bedarf es einer phantasievollen Vision für potenzielle transatlantische Partner und bewusster Bemühungen, einen Dialog auf Augenhöhe zu etablieren.
  • Einflussreiche Netzwerke und regionale/kommunale Verankerung der Civic Education/politischen Bildung helfen, diese zu stärken und kritisch zu begleiten. Auch hier können politische Bildner*innen in Deutschland von starken Projekten in den USA lernen. Und umgekehrt, zeigen die Bildungsstätten und Organisationen wie EOTO e. V. in Deutschland, wie diese zu zentralen Orten der Demokratieentwicklung werden können.
  • Die Grenzen zwischen außerschulischen und schulischen Bildung und zwischen bürgerschaftlichem Engagement und politischer Bildung sind in den USA tendenziell fließender als in Deutschland. Civic Education an sich findet meist in der Schule statt. Das ist ein Erbe der Founding Fathers, die der Meinung waren, dass die Hauptaufgabe der öffentlichen Schule politische Bildung ist. Es gibt jedoch auch eine lange Geschichte des Civic Learning in außerschulischen Kontexten durch Community Education und Civic Engagement. Bemerkenswerte Beispiele sind die Freedom Schools der Bürgerrechtsbewegung, Community Schools von John Dewey und der Citizenship Schools von Myles Horton und Septima Clarke.
  • Eine starke politische Bildung ist eine inklusive politische Bildung. Das bedeutet, dass die Ansätze kulturell relevant sind und auf die Bedürfnisse diverser Zielgruppen eingehen müssen. Es ist wichtig, die politische Bildung anzuerkennen, die schon seit vielen Jahren außerhalb des institutionell verankerten Bereichs von bisher marginalisierten Bildungsakteur*innen stattfindet. Wie können wir diese Arbeit stärker anerkennen und unterstützen? Dafür braucht es eine stärkere Zusammenarbeit und gegenseitige Stärkung unterschiedlicher Bildungsakteur*innen. Hier können wir voneinander lernen.
  • „Civic education must get out of the classroom!“ – hieß es in einem der Vorträge. Wie können neue Räume für Civic Education anerkannt und eröffnet werden? Der 16. Kinder- und Jugendbericht spricht von „unterschätzten Räumen“ politischer Bildung, die besser wahrgenommen und gestärkt werden müssen.
  • Ein wichtiges Stichwort ist die Polarisierung – sowohl in Deutschland als auch in den USA. In einer Session hieß es: „Wir müssen versuchen, einander besser zu verstehen und zu lernen, Kompromisse zu schließen.“ Wir müssen unterschiedliche Perspektiven einbeziehen und Perspektivwechsel ermöglichen. Das gilt für das Miteinander in der Gesellschaft, aber ebenso im professionellen Miteinander und im transatlantischen Austausch. In der Gesprächsrunde zum Abschluss der Tagung hieß es dazu: „Durch die Brille des anderen auf die eigene Arbeit schauen.“ Genau dies wird durch den transatlantischen Austausch ermöglicht.

 

Diese Veranstaltung ist Teil einer vom AdB 2015 ins Leben gerufenen Tagungsreihe der AdB-Fachzeitschrift „Außerschulische Bildung. Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung“: In jedem Jahr wird eine Veranstaltung zum thematischen Schwerpunkt des ersten Heftes durchgeführt. Hintergrund und Anregung für diese Tagung ist demzufolge die Ausgabe zum Schwerpunkt „USA – A Moment of Change?“, die Mitte März 2022 erschienen ist.