“Demokratie
braucht
politische Bildung”

Ressource Vielfalt. Der Beitrag der politischen Bildung zu einer inklusiven Gesellschaft

Die Teilnehmenden diskutieren in den Word Café-Runden
Foto: AdB
26.04. 2018

Tagungsreihe der Fachzeitschrift "Außerschulischen Bildung" fortgeführt

Am 23. April 2018 fand in den hoffmanns höfen in Frankfurt am Main eine Fachtagung statt, die die gemeinsame Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft in den Fokus stellte, eine Gesellschaft, die alle Menschen einbezieht: die nach Deutschland Geflüchteten, Menschen, die in irgendeiner Weise beeinträchtigt sind und/oder die unter schwierigen sozialen Bedingungen leben. Es wurde eine Antwort auf die Frage gesucht, welche Bedeutung der politischen Bildung in dieser Gesellschaft zukommt. Über 60 Teilnehmende waren der Einladung gefolgt und brachten sich und ihre Expertise in die Diskussion ein.

 

Den ersten Vortrag hielt Dr. Sina Arnold, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Geschäftsführerin am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität zu Berlin. Vor dem Hintergrund der Frage: "Wie wollen wir zusammen leben?" stellte sie Zahlen und Fakten zur Migrationsgesellschaft Deutschland vor, beschrieb die Folgen von Migration und Zuwanderung sowie die damit verbundenen Herausforderungen einer postmigrantischen Gesellschaft. Sie konnte dabei auf die von ihrem Institut durchgeführte Studie "Deutschland Postmigrantisch" zurückgreifen.

 

Der Blick auf verschiedene Integrationsdimensionen machte deutlich, in welcher Weise sich Gesellschaft verändert, die Heterogenität zunimmt, sich die Bedingungen der Zugehörigkeit verändern und die Trennung zwischen "Migrantinnen/Migranten" und "Nicht-Migrantinnen/Nicht-Migranten" letztlich nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Es wurde aber auch deutlich, dass Rassismus und Diskriminierung für viele Menschen zum Alltag dazugehören sowie die exklusive Vorstellung von Zugehörigkeit bei vielen selbstverständlich ist. Genau hier können und müssen die politischen Bildner/-innen ansetzen: indem sie den ressourcenorientierten Blick stärken, der Heterogenität und Hybridität der Teilnehmenden gerecht werden, selbstreflektiert arbeiten und auf politische Rahmenbedingungen einwirken.

 

Thomas Gill, Leiter der Berliner Landeszentrale für politische Bildung, stellte die Bedeutung eines menschenrechtlichen Konzepts von Inklusion in den Mittelpunkt seines Vortrags. Wichtig war es aber zunächst, kritisch auf die Begriffe Integration und Inklusion zu schauen und den menschenrechtlichen Begriff von Inklusion zu explizieren. Er stellte die Anerkennung menschlicher Vielfalt als Menschenrecht und die Beseitigung von Barrieren, die zur Behinderung der vollen und wirksamen gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen führt, in den Mittelpunkt. Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt kein Sonderrecht für Behinderte fest, sondern ist eine Präzisierung der Menschenrechte aus der Perspektive von Menschen mit Beeinträchtigungen. Es geht um die prozesshafte Veränderung gesellschaftlicher Teilbereiche, damit die Teilhabe aller gelingt.

 

In der Bildungsarbeit und somit auch in der politischen Bildung geht es also nicht um eine neue Bindestrich-Pädagogik, sondern um eine Weiterentwicklung des Bestehenden. Herausforderungen sind Diskriminierungsfreiheit und Chancengleichheit, die Entfaltung der menschlichen Möglichkeiten, die Thematisierung und Achtung der Menschenrechte und die Stärkung der Vielfalt, aber ebenso auch das Engagement gegen strukturelle Benachteiligungen. Alle Menschen sind politische Subjekte, nicht Hilfsbedürftige.

 

In drei World-Café-Runden waren dann die Teilnehmenden gefragt, ihre Expertise einzubringen. In der ersten Runde stand die Definition des Deutschen Instituts für Menschenrechte im Fokus: Inklusion ist das menschenrechtliche Prinzip, allen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, am politischen und sozialen Leben so teilzuhaben, wie sie sind. Was bedeutet das konkret für die Arbeitsfelder der Teilnehmenden und was wollen sie konkret anstoßen? Hier einige Beispiele:

 

  • Menschenrechte im Leitbild der Institution/Organisation verankern
  • Interkulturelle Öffnung als Organisationsentwicklungsprozess
  • Gemeinsam eingefahrene Strukturen verändern und Themen, wie z. B. Diskriminierung, im eigenen Arbeitsumfeld thematisieren
  • Strukturelle Hemmnisse überwinden
  • Fortbildungen zum Thema Menschenrechte organisieren
  • Einen wirklichen Austausch über Inklusion und deren Folgen initiieren
  • MirgantInnenselbstorganisationen einbeziehen
  • Sensibler Umgang mit Sprache

 

Die zweite Runde beschäftigte sich mit der Frage, welche Rolle der politischen Bildung dabei zukommt, eine inklusive Gesellschaft, die alle Menschen einbezieht, zu entwickeln und welche konkreten Aufgaben damit verbunden sind. Hier ein paar der Gedanken:

 

  • Diskriminierungen entgegenwirken und neu-rechte Einstellungsmuster bearbeiten
  • Sich für ein breites Inklusionsverständnis einsetzen
  • Paradigmenwechsel in der Gesellschaft weiterführen
  • Beschäftigung mit leichter Sprache
  • Repräsentative Beteiligungsverfahren ermöglichen
  • Gemeinsame, partizipative Entwicklung von Angeboten
  • Auseinandersetzung mit den Herkunftsländern der Geflüchteten, mit Fluchtgründen und deren Ursachen
  • Sensibel werden für Machtstrukturen
  • Gemischte Teams schaffen
  • Aufsuchende politische Bildung
  • Subjektorientierung
  • Netzwerk- und Lobbyarbeit
  • Differenzen aushalten
  • Eigene Handlungsfähigkeit stärken und Urteilskraft fördern
  • Teilnehmende als Experten in eigener Sache akzeptieren
  • Sichtbarer werden und über das Positive sprechen

 

In der dritten Runde wurde nach der Haltung gefragt, mit der die Menschen ihre Arbeit machen: Ziel ist es, offen, neugierig, reflektiert, authentisch und flexibel zu sein, sich der eigenen (Vor-)Urteile und Stereotype bewusst zu sein, sich an den Menschenrechten zu orientieren, partizipativ, prozess- und ressourcenorientiert, wertschätzend und zuhörend zu arbeiten. Die Bereitschaft zum Dialog und zum Hinterfragen der eingefahrenen Mechanismen sollte geweckt werden. Es wird als wichtig erachtet, dass wir selbst politisch sind und unsere Haltungen zeigen.

 

Für die Gesprächsrunde am Ende der Fachtagung konnten drei interessante Gesprächspartner/-innen mit unterschiedlichen institutionellen und Erfahrungshintergründen gewonnen werden: Dr. Anastasia Paschalidou ist Jugendbildungsreferentin bei der Jugendbildung Hessen des Internationalen Bundes Südwest. Sie ist Trainerin für Interkulturelle Kompetenz und Projektleiterin im Projekt "Demokratie to go – Stop Hate Speech" und hat Erfahrungen u. a. in der aufsuchenden Jugendarbeit, der politischen Bildung und der internationalen Jugendarbeit gesammelt. Jamila Adamou, Leiterin des Referates Frauen, Gender Mainstreaming, geschlechtsbezogene Pädagogik und Migration der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung, ist als Politik- und Literaturwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen, Development und Gender Studies in vielen zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen engagiert. Der dritte Gesprächspartner, David Jugel, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusive Bildung an der Technischen Universität Dresden und leitet dort das Zentrum für inklusive politische Bildung.

 

In diesem Gespräch ging es zunächst noch einmal darum, die Begriffe und deren Verwendung zu schärfen. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse aus dem World Café wurden die Herausforderungen für die Gesellschaft und insbesondere auch für die politische Bildung diskutiert. Deutlich wurde, wie wichtig ein Bewusstsein für Machtasymmetrien ist und welche Anstrengungen damit verbunden sind, Macht abzugeben oder zu teilen. Ebenso wurde die Notwendigkeit benannt, (post)koloniale Herrschaftspraktiken zu hinterfragen und damit verbundene Prozesse und Mechanismen in alltäglichen, politischen, pädagogischen und auch wissenschaftlichen Diskursen aufzudecken. Eine vermeintliche Normalität darf nicht zur Grenzziehung gegenüber dem Anderen konstruiert werden, denn so werden Zugänge und Teilhabe verhindert.

 

Gelingende Integration und gelingende Inklusion sind immer auch mit Konflikten verbunden, da Menschen, die wirklich integriert sind, auch Ansprüche auf ihre Rechte und auf gleichberechtigte Teilhabe erheben. Daher ist es notwendig, sich über die Folgen gelingender Inklusion klar zu werden und die strukturellen und politischen Bedingungen so zu verändern, dass gelingende Inklusion auch gelebt werden kann (vgl. auch El-Maafalani in AB 1/2018). Notwendig ist es ebenso, Konfliktfähigkeit zu entwickeln, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, Empathie und Solidarität zu entwickeln. Inklusion muss zu einem Querschnittsthema in allen Bereichen werden.

 

Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten führte diese Fachtagung in Kooperation mit dem Paritätischen Bildungswerk Bundesverband e. V. und der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung durch. Sie war die vierte Veranstaltung einer Tagungsreihe der Fachzeitschrift "Außerschulische Bildung. Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung".